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Keine einfache Entscheidung

16. Juni 2003

- Tschechen stimmen für EU-Beitritt / Von Vladimir Müller

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Köln, 14.6.2003, DW-radio

Auch der siebente von insgesamt zehn EU-Kandidaten hat nun "Ja" gesagt: In Tschechien stimmten in einem Referendum fast 80 Prozent der Wähler dem EU-Beitritt zu. Zu den Wahlurnen am Freitag (13.6.) und Samstag (14.6.) sind etwa 55 Prozent der wahlberechtigten Tschechen gegangen. Die Wahl wäre gültig gewesen auch bei einer niedrigeren Beteiligung, eine Mindestgrenze gab es in Tschechien bei dieser Volksabstimmung nicht. Vladimir Müller kommentiert:

Eine leichte Wahl, scheinbar ohne richtige Spannung, wo es keine Hürden zu überwinden gibt. Doch für die Menschen in Tschechien war dieses Referendum keine einfache Entscheidung. Diejenigen, die ihnen dabei hätten helfen können - die Politiker -, haben kläglich versagt. Die von der sozial-liberalen Regierung, weil diese die EU-Kampagne wie eine schlechte Waschmittel-Reklame an den Bürger zu bringen versuchte. Die Politiker von der größten Oppositionspartei - der ODS ("Demokratische Bürgerpartei") - glänzten wieder durch ein klares "Jein". Ihr Mitbegründer und Übervater, Staatspräsident Vaclav Klaus, hatte lediglich erklärt, jeder müsse sich selbst entscheiden. Für ihn sei die Wahl eine persönliche Sache.

Dabei hätte Klaus für die Wissbegierigen fachmännische Hilfe leisten können. Er selbst hat doch vor Jahren, damals als Ministerpräsident, den EU-Antrag Tschechiens gestellt. Durch seine Haltung "Schweigen ist Gold" bleibt aber dem eigenwilligen Klaus politischer Raum für die Zukunft.

Klare Position bezogen lediglich die tschechischen Kommunisten. Nein und noch mal nein dem internationalen Kapitalismus - diese drittstärkste Kraft im Land spricht wie seit 80 Jahren. Erfreulich aber dann, dass selbst die Sympathisanten dieses Polit-Sauriers nur etwa zur Hälfte dem obersten Organ Folge leisteten. Erfreulich auch, dass etwa 90 Prozent der Klaus- und ODS-Wähler f ü r den EU-Betritt ihre Stimme abgaben. Bei den Wählern der regierenden Sozialdemokraten waren es weniger: nur 87 Prozent.

Die Tschechen haben also wieder einmal gezeigt, dass sie die Meinung der sie führenden Politiker nicht unbedingt teilen. Und dass sie sich von schlechter Reklame nicht verführen lassen wollen. Dafür spricht die niedrige Beteiligung an diesem Referendum.

Immerhin war es zum ersten Mal, dass die Tschechen ihren Willen durch eine Volksabstimmung zum Ausdruck bringen durften. "Zum ersten Mal werden weder Könige noch fremde Mächte über uns entscheiden" - warb noch am Wahltag ein Prager Massenblatt um breites Erscheinen. Für den sozialdemokratischen Premier Vladimir Spidla dagegen scheint die Wahl-Beteiligung bei diesem Ereignis nicht so wichtig. Sie hänge nicht zusammen mit dem Zustimmungsgrad für die EU, so Spidla - sich nach allen Seiten absichernd - schon ganz versiert im Stil des EU-Clubs.

Die Tschechen wollen natürlich in diesem Club Mitglied werden. Natürlich nicht mehr mit der Begeisterung wie vielleicht noch vor fünf und gar zehn Jahren. Sie wissen inzwischen um alle Nachteile, die Menschen denken mit und rechnen nach, auch und vor allem in Tschechien. Und man verliert einen Teil der Souveränität, und es wird vieles teuerer. Und sie fürchten auch, dass die alten EU-Mitglieder sie nicht als gleichwertig ansehen würden. Etwa unberechtigt?

Aber eine Insel mitten in Europa, so etwas wollten sich die meisten Tschechen doch nicht vorstellen. Sie wollen schon herein in die Union und hoffen dabei, dass alles gut geht. Und wenn nicht? Dann haben es die Politiker den Wählern eigentlich bequem angerichtet. In zwei Jahren wird in Tschechien ein weiteres Referendum abgehalten. Die Wähler sollen dann über die neue Europäische Verfassung abstimmen. Und damit noch einmal über die Europäische Union. (lr)