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Keine Entschädigung für SS-Verbrechen

Daphne Antachopoulos26. Juni 2003

Den Angehörigen der Opfer eines SS-Massakers vor 59 Jahren in Griechenland steht nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs kein Schadenersatz zu. Die Hintergründe des Prozesses schildert Daphne Antachopoulos.

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Friedhof in Distomo für die Opfer des MassakersBild: AP

Distomo, am Morgen des 10. Juni 1944: Soldaten der 4. SS-Panzergrenadier-Division geraten kurz vor dem griechischen Bergdorf Distomo, 40 Kilometer südöstlich von Delphi, in einen Hinterhalt griechischer Partisanen. Vier Soldaten werden getötet, die Truppe muss sich zurückziehen. Die Rache folgt auf dem Fuß: Die SS gibt den Befehl, die gesamte Bevölkerung des Dorfes zu töten. 218 Menschen werden umgebracht, die Mehrzahl der Ermordeten sind keine Partisanen. Nach Kriegsende werden die Täter in den Nürnberger Prozessen aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

In Griechenland gehört das Dorf Distomo heute zu den Mahnmalen der nationalsozialistischen Besatzung. In Deutschland war das Massaker lange Zeit unbekannt. Auch Dieter Begemann hatte nichts von den Verbrechen in Distomo gehört, bis er im Juni 1984 von der griechischen Friedensbewegung dorthin eingeladen wurde. Seitdem beschäftigt den Historiker die Geschichte des Dorfes. Er begann zu recherchieren: "Es ist mir beispielsweise gelungen, einen Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes ausfindig zu machen, der vier Tage nach dem Massaker hier in Distomo gewesen ist. Und dieser Mann schildert, er sei hier angekommen, über der ganzen Gegend sei Verwesungsgeruch gewesen und das erste, was er gesehen hat, waren Leichen, die mit Bajonetten an Alleebäume genagelt waren."

Griechisches Urteil

Die Überlebenden und Nachkommen der Opfer verlangten Entschädigung. Im Oktober 1997 erstritten sie vor dem Landgericht Livadia in einem Prozess gegen die Bundesrepublik Deutschland umgerechnet 30 Millionen Euro Entschädigung. Das Urteil wurde vom Areopag, dem Obersten Gericht Griechenlands, im Mai 2000 bestätigt. Zwei Monate später sollte das Urteil zwangsvollstreckt und dazu das Goethe-Institut Athen gepfändet werden.

Ein Sturm des Protestes in Berlin: Die Bundesregierung erkannte das Gerichtsurteil nicht an und berief sich dabei auf den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität. Demzufolge darf ein nationales Gericht eines Staates einen anderen Staat nicht verurteilen. Außerdem verwies die Bundesregierung auf den deutsch-griechischen Ausgleichsvertrag von 1961.

Vertragliche Hürden

Damals hatte Deutschland umgerechnet 50 Millionen Euro Entschädigung für den Ausgleich nationalsozialistischen Unrechts an Griechenland gezahlt. Eine weitere Entschädigungszahlung sei durch die Kriegsfolgen-Regelung des Zwei-plus-Vier-Vertrags von 1990 ausgeschlossen, argumentierte die Bundesregierung. Der Völkerrechtler und ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts in Heidelberg, Karl Doehring, unterstützt diese Haltung. Seiner Ansicht nach hätten die Ansprüche schon 1990 geltend gemacht werden müssen.

Die Opfervertreter halten dies für einen unzulässigen Umkehrschluss: Da der Zwei-plus-Vier-Vertrag keine Regelungen über Entschädigungen enthalte, sei er in dieser Hinsicht auch nicht abschließend. Sie wenden außerdem ein, dass sich der deutsch-griechische Ausgleichsvertrag von 1961 auf Personen bezog, die "wegen ihrer Rasse, ihres Glaubens oder ihrer Weltanschauung" verfolgt wurden. Dies treffe auf die Einwohner Distomos nicht zu, da sie ohne Ansehen der Person im Rahmen einer "Sühnemaßnahme" getötet wurden.

Die Vollstreckungsmaßnahmen gegen deutsches Eigentum in Griechenland wurden vorerst durch den griechischen Ministerpräsidenten Kostas Simitis gestoppt. Er bestimmte, dass die Zwangsvollstreckung erst durch eine Unterschrift des griechischen Justizministers abgesegnet werden müsse. Der wiederum verweigerte die Gegenzeichnung.

Wenig Resonanz in Deutschland

Der Grund, warum die Menschen von Distomo nach fast 60 Jahren auf breiter juristischer Front weiterkämpfen, liegt auch daran, dass der Fall Distomo in Deutschland lange Zeit nicht zur Kenntnis genommen wurde. "Man hat ein Verbrechen in Deutschland 45 Jahre lang völlig ignoriert, man hat die Menschen ignoriert, selbst dann, wenn sie eingeladen haben, an einer Gedenkveranstaltung teilzunehmen", sagt der Historiker Begemann und ergänzt, dass es "ein Recht auf Entschädigung gibt, daran gibt es für mich überhaupt keinen Zweifel."

Der Bundesgerichtshof sieht das anders, wenngleich der Vorsitzende Richter sagte, der Massenmord sei eines der abscheulichsten Verbrechen des Weltkriegs gewesen. Allerdings könne Schadenersatz nur von Staaten nicht aber von Einzelpersonen in Anspruch genommen werden. Aus diesem Grund wies das Gericht die Klage der vier Griechen ab. Humanitäre Aspekte hätten bei dem Urteil aber keine Rolle spielen können. Der Bundesgerichtshof habe nur mit den beschränkten Mitteln des Rechts entschieden.