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Keine Ringe unter den Augen

Stefan Biestmann23. Februar 2006

Normalerweise fiebern die Amerikaner bei den Olympischen Winterspielen begeistert am Fernseher mit. Doch bei den Spielen in Turin ist alles anders. Der TV-Sender NBC klagt über miserable Einschaltquoten.

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Kaum ein Amerikaner erscheint morgens mit Ringen unter der Augen zur Arbeit – und das, obwohl NBC bis spät in die Nacht über die Sieger des Tages berichtet. Noch vor vier Jahren waren die US-Bürger im Olympiarausch, als ihre Athleten in Salt Lake City auf Medaillenjagd gingen. Nun ist das Zuschauerinteresse auf einen historischen Tiefpunkt gesunken.

Nur noch jeder achte Amerikaner verfolgte die erste Olympia-Woche am Fernseher – das sind 36 Prozent weniger als in Salt Lake City und 24 Prozent weniger als 1998 in Nagano. Statt keuchende Ski-Langläufer schauen und hören sich die US-Bürger lieber singende, oder manchmal auch kreischende Teenager an: „American Idol“, das amerikanische Pendant zur Show „Deutschland sucht den Superstar“, zählte an einem Abend doppelt so viele Zuschauer wie der Olympia-Sender NBC.

Zuschauerboom bleibt aus

Die Konkurrenz lacht sich ins Fäustchen. NBC hatte 613 Millionen Dollar für die Übertragungsrechte hingeblättert und vollmundig einen Zuschauerboom prognostiziert. Firmen hatten für TV-Werbespots tief in die Tasche gegriffen, um ihre Produkte anzupreisen. Der klassische Fehlstart kommt NBC nun teuer zu stehen. Einige Unternehmen wollen ihr Geld zurück und fordern kostenlose Werbeminuten. Diese stehen ihnen bei weiter sinkenden Einschaltquoten rechtlich sogar zu.

Während die Sportler bereits tagsüber um Medaillen kämpfen, zeigt NBC die Wettkämpfe erst zeitversetzt am Abend. Viele begeisterte Sportfans wissen dann bereits über die Ergebnisse Bescheid. Wer im Radio frustriert mitverfolgt hat, dass ein oder mehrere amerikanische Athleten versagt haben, lässt den Fernseher am Abend aus. Schließlich ärgert sich niemand gerne doppelt.

Jugendwahn als Eigentor

Wer trotzdem einschaltet, muss bis zwei Uhr nachts auf die spannenden Zieleinläufe im Biathlon oder in der Nordischen Kombination warten. Dagegen bietet NBC zur besten Sendezeit jede Menge Trendsport: Auf Snowboards über die Piste pesende Männer oder Saltos schlagende Trickski-Artisten.

Der Jugendwahn entpuppt sich als Eigentor. Die älteren Zuschauer stehen mit den neuen olympischen Modesportarten auf Kriegsfuß und werden vergrault. Selbst die jungen Sportfans zeigen sich desinteressiert und schalten lieber um zu „American Idol“ oder zur TV-Serie „Desperate Housewives“. Nur der hart gesottene Olympia-Fan bleibt am Drücker. Doch die vielen Werbeblöcke vermiesen auch ihm den Fernsehabend.

Zugpferde schmerzlich vermisst

Ein weiteres Problem: Momentan ist kein amerikanisches Zugpferd in Sicht, das den Olympia-Funken doch noch nach Amerika überspringen lassen könnte. Die fünfmalige Eiskunstlaufweltmeisterin Michelle Kwan musste die Teilnahme in Turin verletzungsbedingt absagen. Auch Skistar Bode Miller blieb bisher weit hinter den hochgesteckten Erwartungen zurück.

Den Verantwortlichen von NBC hoffen bereits jetzt auf die nächsten Olympischen Winterspiele 2010 im kanadischen Vancouver. Zur besten Sendezeit kann NBC dann Live-Bilder zeigen. Doch mit einer Mischung aus Trickski, Snowboard-Rennen und langen Werbeblöcken wird der Sender auch dann nicht punkten können. Es bleiben vier Jahre Zeit für die Suche nach neuen Konzepten – und nach neuen zugkräftigen Stars.