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Keine Schonfrist für Microsoft

Rafael Heiling / (stl)22. Dezember 2004

Die europäische Justiz hat die Auflagen der EU-Kommission im Kartellrechtsstreit mit Microsoft bestätigt. Der Beschluss ist ein schwerer Rückschlag für den Konzern und hat erhebliche Auswirkungen für die gesamte Branche.

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Der Software-Riese will sein Windows hütenBild: AP

Microsoft erhält keine Schonfrist und muss die Sanktionen der EU sofort erfüllen. Den Antrag, die Auflagen per einstweiliger Anordnung zumindest so lange auszusetzen, bis das Hauptverfahren abgeschlossen ist, wies das Europäische Gericht Erster Instanz am Mittwoch (22.12.2004) zurück.

Das Luxemburger EU-Gericht bestätigte den Zwang zur Öffnung bestimmter Software in vollem Umfang. Der Konzern konnte nicht nachweisen, dass ihm damit ein "schwerer und irreparabler Schaden" entstehe, urteilte der Präsident des Gerichts, Bo Vesterdorf.

Die Sanktionen: Geld und mehr Offenheit

Mario Monti Microsoft EU
EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti hat das Millionen-Bußgeld gegen Microsoft verhängtBild: AP

Die Europäische Union wirft Microsoft vor, mit seiner Marktmacht Konkurrenten auszubooten. Im März 2004 verhängte die EU-Kommission zwei Auflagen gegen den Riesen aus Redmond: Er soll 497,2 Millionen Euro Geldbuße zahlen und Teile des Programmcodes offenlegen, damit Konkurrenz-Software besser mit Windows verbunden werden kann.

Nach der Entscheidung von Mittwoch muss Microsoft nun seinen Konkurrenten - wie von der EU-Kommission entschieden - bisher geheime Schnittstelleninformationen für Netzwerkrechner zur Verfügung stellen. Das Gericht bestätigte auch die Verpflichtung, dass Microsoft eine Windows-Version ohne den tief im System verankerten "Media Player" anbieten muss, damit andere Multimedia-Programme mehr Chancen haben – wie etwa der Real-Player von Real Networks, der ebenfalls Audio- und Video-Dateien abspielt. Auch fremde Server-Software soll besser integriert werden können.

Angst vor Konkurrenz

Die Geldbuße ist weniger das Problem. Microsoft verfügt über 50 Milliarden Dollar an freien Mitteln und hat schon im Juli 2004 unter Vorbehalt gezahlt. Doch wegen der geforderten Offenlegung von Windows-Bestandteilen hatte Microsoft umgehend Einspruch eingelegt und eine Schonfrist beantragt, bis der Fall endgültig geklärt ist.

Die wird es nun aber nicht geben. Wenn Microsoft jetzt geheime Informationen an Konkurrenten weitergeben muss, fürchtet das Unternehmen "irreparablen Schaden". Ohne den strikten Schutz des geistigen Eigentums werde die Bereitschaft zur Entwicklung neuer Produkte schwinden, so die Sorge von Microsoft. Außerdem könnten trotz der Dominanz des Windows Media-Players andere Formate gedeihen, wie der iPod von Apple beweise.

Neue Windows-Version ab Januar

Laut Kommission kommt das Urteil den Verbrauchern zu Gute und kurbelt die Innovation in der Branche an. Der Sprecher von EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes sagte, Brüssel erwarte, dass Microsoft den den Öffnungs-Auflagen sofort nachkomme. "Es gibt keinen Grund, diese Auflagen länger auf Eis zu legen." Verhandlungen mit Microsoft seien nicht geplant.

Das Unternehmen ließ zunächst offen, ob es gegen die Entscheidung Beschwerde einlegt. Sein Chefanwalt Brad Smith kündigte an, eine neue Version von Windows werde Computerherstellern ab Januar und anderen Kunden ab Februar zur Verfügung stehen. Auch werde Microsoft wie verlangt technische Daten zu seiner Server-Software mit Konkurrenten teilen. Zugleich appellierte Smith an die Kommission, doch noch eine gütliche Einigung zu finden.

Das Unternehmen kann innerhalb der nächsten zwei Monate Berufung gegen die Entscheidung beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) einlegen. Das endgültige Urteil darüber, ob Microsoft tatsächlich seine Marktmacht missbraucht hat, wird allerdings erst Jahre später von einem Gremium am Europäischen Gerichtshof der ersten Instanz gefällt.

Microsoft malt düsteres Szenario

Dass nun die Auflagen nicht ausgesetzt werden, ist für die gesamte Software-Branche von großer Bedeutung. Microsoft warnte, der Zwang, eine vom Mediaplayer entkoppelte Windows-Version anbieten zu müssen, werde sowohl den Konsumenten als auch der Konkurrenz schaden. Die Entscheidung durchkreuze die technologische Integration, die das Rückgrat der Revolution in der Informationstechnik der vergangenen drei Jahrzehnte gebildet habe. Sie werde tausende Unternehmen treffen, die ihr Geschäft auf der Plattform des Betriebssystems Windows aufgebaut hätten.

Freie Software-Entwickler werden sich allerdings über die Gerichtsentscheidung freuen. Sie hatten im Vorfeld eindringlich vor einer Aussetzung der Sanktionen gewarnt. Denn hätte das Gericht dem Aufschub stattgegeben, wäre der Ausgang des Kartellverfahrens gegen Microsoft letztlich ohne Bedeutung – eben, weil die Entscheidung so lange dauert.

Das Microsoft-Bußgeld tut übrigens auch den europäischen Staaten gut: Es fließt in den EU-Haushalt, die Mitglieder müssen also weniger Beiträge zahlen. Deutschland könnte dadurch bis zu 125 Millionen Euro sparen.