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Keine Totenruhe durch Militaria-Sammler

1. November 2010

In Brandenburg liegen noch Tausende von Toten aus dem Zweiten Weltkrieg in der Erde. Dort wo sie damals gefallen sind. Die einen möchten ihnen die letzte Ehre erweisen, andere plündern sie aus.

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Erkennungsmarke eines im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten (Foto: DW/Siebert)
Erkennungsmarke eines im Zweiten Weltkrieg gefallenen SoldatenBild: DW/D.Siebert

Der Zweite Weltkrieg ist 65 Jahre her und doch noch sehr präsent: Im Osten Brandenburgs ruhen bis heute tausende Kriegstote in der Erde. Wie viele es genau sind, weiß niemand. Besonders im Oderbruch und rund um die Stadt Halbe liegen viele noch dort im Boden, wo sie damals verstarben - die einen in Schützengräben, die anderen in Bombentrichtern, wieder andere abseits vom Kampfgeschehen, dort wo sie ihren Verletzungen erlagen.

In den letzten Monaten des Krieges fanden in dieser Region viele blutige Schlachten zwischen deutschen und russischen Truppen statt, die zahllose Opfer forderten. Damals gab es kriegsbedingt niemanden, der die Leichen hätte bergen und ordentlich bestatten können. So ruhen sie bis heute an Ort und Stelle, teilweise überwuchert von Wald und Wiesen, teilweise unter Äckern und Neubauten.

Verein will Kriegstoten letzte Ehre erweisen

Das sei ein untragbarer Zustand findet man beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, dass alle Kriegstoten ein würdiges Begräbnis auf einem Friedhof bekommen. Die Vereinsmitglieder sind davon überzeugt, dass die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde auch bis in den Tod gilt. Deshalb müsse man die Gefallenen umbetten und ihnen die letzte Ehre erweisen.

Feierliche Beisetzung gefallener Wehrmachtssoldaten (Foto: DW/Siebert)
Feierliche Beisetzung gefallener WehrmachtssoldatenBild: DW/D.Siebert

Am 25. September geschah das beispielsweise im Brandenburgischen Lietzen. 23 in der Region gefallene Wehrmachtssoldaten wurden mit einer feierlichen Zeremonie auf der dortigen Kriegsgräberstätte beigesetzt. Teil der Feierstunde waren sowohl Andacht und Segen eines Pfarrers, als auch der militärische Abschiedsgruss durch eine Blaskapelle und eine Rede des Geschäftsführers der Deutschen Kriegsgräberfürsorge in Brandenburg, Oliver Breithaupt. Darin erinnerte er mit mahnenden Worten an die Schrecken des Krieges und an die moralische Verantwortung der heutigen Generation.

"Ein grauenvoller Anblick"

Dass man Tote - auch Kriegstote - ehren sollte, ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Das zeigen die skrupellosen Aktivitäten von sogenannten Militaria-Sammlern. Auch sie suchen im Osten Brandenburgs nach Kriegstoten. Deren Würde und Ehre kümmert sie allerdings nicht, im Gegenteil. Sie sind auf der Suche nach Orden, Waffen, Helmen und anderen Dingen, die die Soldaten bei sich trugen. Für ihre Jagd auf diese Devotionalien fleddern die Sammler Leichen und durchwühlen die Gebeine ohne Rücksicht auf Pietät oder Moral.

Besonders oft wird Joachim Kozlowski mit diesem Problem konfrontiert. Er arbeitet als Umbetter für den Volksbund, ortet also die Toten, gräbt sie aus, sorgt für ihre Identifizierung und Bestattung. An jeder dritten Grablage findet er Spuren von Militaria-Sammlern, die vor ihm schon nach den Toten gegraben haben, vor allem in den Gegenden rund um Halbe und im Märkischen Oderland. "Es vergeht kein Kilometer, wo nicht irgendwo diese typischen Sondenlöcher sind, wo irgendwelche Leute irgendwas gesucht haben, so skrupellos, so verantwortungslos vor allen Dingen." Allzu oft findet er Leichen, die wild durcheinander in einem ausgebuddelten Haufen Erde liegen. Wie eine Baustelle sehe das aus - ein grauenvoller Anblick.

Vom Orden bis zum Essgeschirr

Besonders begehrt sind bei den Militaria-Sammlern Orden und andere Wehrmachts- oder Nazi-Insignien, die die Toten bei sich trugen. Sogar Waffen und Munition nehmen manche von ihnen mit. Auch die Stahlhelme, das Essgeschirr, Gasmaskenbehälter und andere metallische Gegenstände, die mit einfachen Metallsuchgeräten leicht aufzuspüren sind, fehlen oft schon, wenn Kozlowski die Toten findet. Manche dieser Gegenstände landen bei den Sammlern zu Hause im Regal. Andere bedienen damit einen florierenden internationalen Schwarzmarkt.

Diejenigen, die sich auf das Plündern der Erkennungsmarken spezialisiert haben, machen dem Umbetter die Arbeit besonders schwer. Denn jeder Wehrmachtssoldat hatte solch eine Erkennungsmarke bei sich. Auf diesen ovalen Metallscheiben sind persönliche und militärische Daten eingraviert, die es auch heute noch ermöglichen, den Toten mit Hilfe der "Deutschen Dienststelle" in Berlin zu identifizieren.

"Weder moralische noch gesetzliche Verbote helfen"

Grundsätzlich ist es in Brandenburg nicht erlaubt, in Wald und Wiesen nach Kriegsresten zu graben. Joachim Kozlowski arbeitet mit behördlichen Ausnahme-Genehmigungen. Die Militaria-Sammler haben so etwas nicht. Sie riskieren hohe Bußgelder. Mitunter schaltet sich sogar das Landeskriminalamt ein, sagt LKA-Sprecher Toralf Reinhardt. Drei herausgehobene Ermittlungsverfahren des LKA habe es in den vergangen drei Jahren gegeben. Dabei ging es um Straftaten wie die Störung der Totenruhe, Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz beziehungsweise das Waffengesetz und sogar um Verstöße gegen die Sprengstoffordnung. "Insgesamt in den vergangen Jahren aber deutlich unter 100 Einzelverfahren", so Reinhardt.

Die niedrige Zahl der Verfahren resultiert auch daraus, dass viele Militaria-Sammler nicht erwischt werden. Das Schlimmste daran ist: Es wird nicht nur die Totenruhe gestört und auf der Menschenwürde unzähliger Kriegsopfer herumgetrampelt. Durch ausgebuddelte Waffen und Munition besteht oft auch Lebensgefahr - für die Grabräuber selbst, vor allem aber auch für die Umbetter und für Bauern, Waldarbeiter oder nichtsahnende Spaziergänger.

Autorin: Daniela Siebert
Redaktion: Kay-Alexander Scholz