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Keine Verträge mehr?

Karl Zawadzky12. August 2003

In der Sozialstaatsdiskussion kommen Tabus auf den Tisch: Wie viel Versorgung braucht ein alter Mensch? Wer kümmert sich um die Jungen, wenn sie alt sind? Was bedeutet "Generationenvertrag"? Ein Hintergrund von DW-WORLD.

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Spricht aus, was viele denken, und gerät in die Kritik: Philipp MißfelderBild: AP


Mitte der neunziger Jahre erhielt der damalige Bundesarbeits- und Sozialminister Norbert Blüm Post von einem Chemiestudenten aus Heidelberg, der dem Minister mitteilte: "Im Namen meiner Altersgenossen kündige ich den Generationenvertrag." Der Minister nahm die Kündigung nicht an, sondern antwortete, ebenfalls wörtlich zitiert: "Soziale Sicherheit ist keine Schiffschaukel, in die man nach Belieben ein- und aussteigen kann. Kein Mensch lebt für sich allein. Jeder war einmal Kind und wünscht sich, alt zu werden. Jeder ist mal auf der einen Seite, dann auf der anderen anzutreffen. Was früher die Großfamilie unter einem Dach schaffte, muss heute der Sozialstaat organisieren. Dazu gehört die Solidarität." So die vom damaligen Bundesarbeits- und Sozialminister erteilte Lektion.

Die Jungen sichern die Alten

Altenpflege Essen auf Rädern
Bild: BilderBox

Der Generationenvertrag, aus dem der Student aussteigen wollte, ist ein unausgesprochenes und zudem schriftlich nie fixiertes Verhältnis zwischen der im Arbeitsleben stehenden und in die Rentenkassen einzahlenden Generation auf der einen Seite und der älteren, rentenempfangenden Generation auf der anderen. Inhalt des Vertrages ist nicht nur die Verpflichtung, durch Beiträge zur Rentenversicherung die Versorgung der vorausgehenden Generation zu sichern, sondern auch die Erwartung, dass künftige Generationen sich dieser Verpflichtung nicht entziehen. Darüber wacht der Staat.

Früher war der Sachverhalt offensichtlich und jedermann klar: Kinder bedeuteten Sicherheit im Alter, denn die Kinder versorgten ihre Eltern, wenn die nicht mehr für sich selber sorgen konnten. Heute gilt dies unverändert, aber der Zusammenhang liegt weniger offen zu Tage, denn einen engen Generationenverband, womöglich auch noch unter einem Dach, gibt es nur noch in Ausnahmefällen. An die Stelle der Versorgung durch die Großfamilie ist die Rentenversicherung getreten. Ihre Mitglieder sorgen für die ältere Generation und erwerben dadurch das Recht, ihrerseits im Alter von der nachfolgenden Generation versorgt zu werden.

Wie viel "sozial" kann sich Deutschland leisten?

Alte Menschen auf einer Bank
Bild: Bilderbox

Allerdings droht die Hoffnung der Beitragzahler, im Alter ebenso versorgt zu werden wie die heutige ältere Generation, nicht mehr aufzugehen. Ausschlaggebend dafür sind gleich mehrere Entwicklungen. So stehen durch die Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung immer weniger Beitragzahler immer mehr Rentenempfängern gegenüber. Es gibt immer mehr Menschen im Rentenalter. Der so genannte Altersquotient, der das Verhältnis der Menschen im Rentenalter zu jenen im erwerbstätigen Alter beschreibt, verschlechtert sich sprunghaft. Im Jahr 2001 lag er bei 44 zu 100 und steigt bis zum Jahr 2020 auf 55, um 2050 bei 71 zu landen. Das heißt: Langsam aber sicher stellt sich die Alterspyramide auf den Kopf - und dies bei insgesamt abnehmender Bevölkerungszahl sowie bei steigender Lebenserwartung.

Der deutsche Sozialstaat in all seinem Perfektionismus war lange Zeit international vorbildlich, doch das ist in der globalisierten Wirtschaft und im gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum zunehmend obsolet. Der Generationenvertrag trägt nicht mehr. Die jüngere Generation kann nicht damit rechnen, eine ihren Einzahlungen entsprechende Leistung zu erhalten. Das ist der Grund dafür, dass der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, die absehbare Entwicklung zugespitzt einen "Generationenverrat" nennt, nämlich einen Verrat an der jüngeren Generation. Ohne Zweifel ist die derzeit ältere Generation so gut gestellt wie keine Generation zuvor, während zu wenig in die Jugend und in die Zukunftsvorsorge investiert wird.