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Kerry ist uncool

Daniel Scheschkewitz25. Oktober 2004

Jungwähler in den USA galten jahrzehntelang als wahlfaul. Bei der anstehenden Präsidentschaftswahl entwickelt die Jugend einen ungewohnten Drang zur Wahlurne. Welchem Kandidaten sie ihre Stimme geben wird, ist offen.

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Daniel Scheschkewitz

Votergasm.org heißt eine einschlägige Internetseite auf der eine frivol dreinblickende Blondine vor der amerikanischen Fahne Sex verspricht. Wer wählen geht, darf in der Nacht zum dritten November auf eine schnelle Nummer hoffen, wer sich der demokratischen Stimmabgabe verweigert, dem droht Sexentzug vom Partner - bis zu vier Jahre lang.

Das Spiel mit der Lust bzw. Wahlunlust junger Amerikaner kommt nicht von ungefähr. Bei der letzten Wahl im Jahr 2000 gingen nur noch gut 40 Prozent aller wahlberechtigten Jungwähler an die Urnen - ein Minusrekord der den Abschluss eines jahrzehntelangen Trends bildete.

Wahlkampfthemen mobilisieren

Dieses mal soll alles anders werden. Und das nicht nur, weil Sex und Patriotismus, wie auf der Votergasm-Website eine lustvolle Allianz eingehen. Nein, dieses mal sind es auch die Themen der Präsidentschaftswahl, die zu einer bislang ungekannten Registrierung von Jungwählern in den Wählerlisten geführt haben. Der Irakkrieg ist eine Bürde, die vor allem auf der jüngeren Generation schwer lastet. Außerdem befürchten viele eine Wiedereinführung der Wehrpflicht in den USA, weil die Freiwilligenarmee für die Herausforderungen im globalen Krieg gegen den Terror nicht mehr genügend Soldaten aufbieten kann.

Die zum Teil horrenden Kosten für eine Studium sind ein weiteres Thema, das die jungen Erwachsenen in dieser Wahl bewegt. Außerdem fühlen sich viele von der Krise der Sozialsysteme bedroht, mit immer höheren Kosten für eine Gesellschaft die ständig älter wird. Vom ausufernden Haushaltsdefizit der USA ganz zu schweigen, das künftige Generationen wieder abtragen müssen.

Jungwähler als Zünglein an Waage

Besonders in Staaten wie Iowa, Pennsylvania und Ohio, die über große Studentenpopulationen verfügen, könnte das Votum der Jungen dieses Mal den Ausschlag geben. Denn diese drei Staaten gehören zu einem runden Dutzend sogenannter "Swing-states", in denen das Rennen zwischen Bush und Kerry auf Messers Schneide steht. Michigan und Wisconsin, zwei weitere Staaten, in denen es knapp zu werden verspricht, melden jeweils über 100.000 neu registrierte Wähler in der jüngsten von allen Altersgruppen. Und anderswo ist der Zulauf ähnlich hoch.

Ob Bush oder Kerry vom neuen Wahlenthusiasmus der Jugend profitieren wird, ist wie fast alles in diesen letzten amerikanischen Wahlkampftagen, umstritten. Glaubt man der Wahlforschung der letzten Jahre, dann müsste der Drang der Jugend zur Wahlurne eigentlich John Kerry nützen. Vor allem in den Wahlen Clinton gegen Bush I. und Clinton gegen Dole votierten die Jungwähler eindeutig für den jüngeren Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei.

Kerrys Imageproblem

Doch eine Umfrage des angesehenen "Pew Centers" Ende September ergab, dass in der Gruppe der 18 bis 29-Jährigen diesmal Präsident Bush mit 48 Prozent deutlich vor John Kerry mit nur 42 Prozent lag. Der demokratische Präsidentschaftsbewerber, so sagt der Harvard-Professor David King, habe bei Jugendlichen vor allem ein Image-Problem. Er wirke weniger authentisch als Bush, besonders, wenn er sich mit immer neuen Positionen beim Wähler anbiedere. Senator Kerry gab schon im Vorwahlkampf im Frühjahr eine markantes Beispiel für diese peinliche Eigenart. In einem Interview mit dem Musikmagazin "The Rolling Stone" befleissigte er sich mehrfach des Wortes "Fuck", um besonders jugendnah zu wirken.

Letztlich sind alle Mutmaßungen über das Votum der amerikanischen Jungwähler Spekulation. Die Meinungsforscher kommen an sie nämlich nur schwer heran. Viele sind nur per Handy zu erreichen und dürfen von den Prognose-Instituten aus Kostengründen nicht angerufen werden. Wenn allerdings die versprochenen Orgasmen für eine Wahlteilnahme den Unterscheid machen sollten, müsste das eigentlich John Kerry nützen. Präsident Bush und seine christlich-fundamentalistische Truppe im Weißen Haus predigt nämlich schon seit längerem Jugendlichen Enthaltsamkeit.