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Mächtige Bilder

Esther Felden17. Mai 2013

Mit Bildern auf das Schicksal der Menschen im Iran hinweisen und es bekannter machen – das ist das Ziel des Zeichners Khalil. Hier erzählt der Graphic-Novel-Künstler, warum. Und erklärt, wie das Genre funktioniert.

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Portrait des Graphic Novel-Zeichners Khalil (Foto:privat)
Bild: Khalil

Die Zeichnung für das DW-Iran-Projekt stammt aus der Feder des arabischen Künstlers Khalil. Es ist nicht das erste Mal, dass Khalil sich bildlich mit den politischen Zuständen im Iran auseinandersetzt. Im Jahr 2011 brachte er gemeinsam mit dem iranisch-amerikanischen Autor Amir die Graphic Novel "Zahra's Paradise" heraus - eine Geschichte, die in der Zeit nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl 2009 spielt und das Schicksal eines jungen Mannes schildert: Mehdi nimmt nach dem gefälschten  Wahlsieg von Mahmud Ahmadinedschad an den Protesten in der Hauptstadt Teheran teil  - und verschwindet plötzlich spurlos. Mehdis Mutter und sein Bruder – ein Blogger – suchen  verzweifelt nach ihm, kämpfen mutig einen ungleichen Kampf  gegen die Institutionen in der Islamischen Republik. Dabei entsteht ein schonungsloses und eindringliches Bild des politischen Iran. Zwar ist die Handlung um Mehdi und seine Familie fiktiv. Trotzdem steht sie exemplarisch für das Schicksal vieler Menschen im Land.

Die Graphic Novel "Zahra's Paradise" erschien sowohl in Buchform als auch als Fortsetzungsgeschichte im Internet. Bislang wurde die Graphic Novel in 16 Sprachen aufgelegt. Aus Sorge um ihre persönliche Sicherheit entschieden sich Autor Amir und Zeichner Khalil, nicht ihre volle Identität preiszugeben und lediglich unter ihren Vornamen zu publizieren.

Deutsche Welle: Sie zeichnen im sogenannten Graphic-Novel-Stil, der sich optisch und inhaltlich von herkömmlichen Comics unterscheidet. Wie funktionieren Graphic Novels, auf welche Art und Weise transportieren sie ihre Botschaften?

Da gibt es kein Generalrezept, es gibt ganz verschiedene Möglichkeiten. In meiner Jugend habe ich Comics gelesen. Irgendwann in den 80er Jahren habe ich dann erstmals den Begriff Graphic Novel gehört. In einer Graphic Novel werden literarisch und intellektuell anspruchsvollere Themen behandelt als in einem klassischen Comic. Insgesamt gelten Comics als eher leichte Kunstform - selbst wenn es sich nicht um ausgewiesene Comics für Kinder handelt. Ich selbst habe mich immer gegen diese Auffassung gewehrt, denn ich denke, dass ein Comic sehr wohl ernst sein kann. Spätestens seit "Persepolis" erschienen ist, behandeln die Medien Graphic Novels als ernstzunehmendes Genre. Ein Genre, das Leuten wie mir und dem Autor Amir – mit dem ich zusammenarbeite – erlaubt, sehr komplexe Themen mit viel Tiefgang zu behandeln, Themen, die man nicht so einfach in einem kurzen Artikel oder einem einzelnen Fernsehbeitrag abhandeln kann. Mit Hilfe einer Graphic Novel können wir solche Themen mit Leben füllen und sie auch den Menschen näherbringen, die normalerweise kein Buch in die Hand nehmen würden. Insofern ist es eine hochinteressante künstliche Mischform, die viele junge Leute auf der ganzen Welt anspricht. Amirs und mein Buch "Zahra's Paradise" ist bislang in 16 Sprachen erschienen, und überall, wo wir es vorgestellt haben, kamen später Menschen auf uns zu, um uns zu danken: Durch euer Buch haben wir endlich verstanden, was im Iran vor sich geht. Ich denke, eine Graphic Novel ermöglicht es dem Leser, komplizierte Sachverhalte ganz entspannt aufzunehmen und zu begreifen.

Wie wichtig sind dabei die Bilder?

Die Bilder sind die Einladung, sie sollen den Leser mit all ihrer Kraft packen. Hier gilt ein bekanntes Klischee: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Man kann mit einem einzigen Bild ganz schnell so viel erreichen, ein starkes Bild kann sehr viel aussagen. Ich denke, genau darin liegt die Magie dieser Kunstform.

Es gibt eine ganze Reihe von Graphic Novels oder Verfilmungen im Graphic Novel-Stil, die thematisch im Nahen und Mittleren Osten angesiedelt sind: Neben Ihrem eigenen Buch "Zahra's Paradise"  auch das von Ihnen schon erwähnte "Persepolis", "The Green Wave" oder "Waltz with Bashir". Wie erklären Sie sich das? Gibt es da eine Verbindung?

Ich denke, das hängt damit zusammen, dass sich sowohl in der Gegenwart als auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten in dieser Region so viele wichtige und international bedeutende Entwicklungen abspielen. Zum Einen gibt es dort noch immer Kolonialismus - denken Sie an Israel und Palästina. Darüber hinaus sorgen die Ölvorkommen dafür, dass die Region geopolitisch und geostrategisch enorm wichtig und von internationalen Big Players hart umkämpft ist. Auch hier liegt jede Menge Konfliktpotenzial. Und dann erleben wir seit zwei Jahren Revolutionen, wie ich sie bisher noch nicht kannte. Nach den Anfängen in Tunesien verbreitet sich die Bewegung immer weiter, nicht nur in den Nachbarländern, sondern sie hallt auch in Europa, den USA oder in China wider. Überall auf der Welt verfolgen die Menschen, was im Nahen und Mittleren Osten passiert. Die Region ist ein Ort, an dem sich unglaublich viel tut, ich glaube, das ist auch der Grund, warum sich Graphic-Novel-Autoren damit beschäftigen.

Buchcover der Graphic Novel "Zahra's Paradise"
2011 wurde die Graphic Novel "Zahra's Paradise" veröffentlichtBild: First Second

Für das DW-Iran-Projekt verwenden Sie aus Sicherheitsgründen nur den Namen Khalil, genau wie schon vor zwei Jahren, als Sie gemeinsam mit dem Autor Amir an "Zahra's Paradise" gearbeitet haben. Warum die Anonymität, welche persönlichen Konsequenzen befürchten Sie?

Ich selbst stamme nicht aus dem Iran, obwohl ich mich dem Land und den Menschen mittlerweile sehr nah fühle und auch hier – wo ich lebe – gewissermaßen Ehrenmitglied der iranischen Gemeinde bin. Aber Amir ist Iraner, und er wurde auch direkt bedroht. Er hat Familie im Iran und war besorgt, dass unser Projekt dramatische Folgen für seine Angehörigen haben könnte. Und auch für ihn selbst, wenn er je zurückkehren sollte. Deshalb haben wir uns entschieden, halb anonym zu bleiben. So konnten wir unsere Meinung frei äußern, ohne Angst vor körperlichen Übergriffen oder sonstigen Konsequenzen für uns und unsere Familien haben zu müssen. Es war eine grundsätzliche Entscheidung, die aus unserer Sicht einfach Sinn gemacht hat. Und die Leser hatten allgemein Respekt vor unserer Entscheidung, unsere Nachnamen nicht preiszugeben.

Was passierte denn dann tatsächlich nach der Veröffentlichung von "Zahra's Paradise"? Gab es Versuche von Seiten der iranischen Regierung, die Identität der Urheber herauszufinden oder Sie gar zu bedrohen?

"Zahra's Paradise" wurde im Internet veröffentlicht, bevor es in Buchform herauskam. Bedroht wurden wir nicht, aber wir haben sehr beleidigende und verletzende Botschaften bekommen, die – so vermuten wir - möglicherweise von der Regierung lanciert wurden oder direkt von dort stammen. Darin wird unsere Arbeit als anti-muslimisch, anti-iranisch und anti-schiitisches Werk diskreditiert. Da viele Menschen im Iran das Buch gelesen haben, gab es wohl Bestrebungen, "Zahra's Paradise" gezielt in Verruf zu bringen. Vor ein paar Monaten haben wir in der New York Times gelesen, dass unser Buch im Iran quasi auf dem Schwarzmarkt vertrieben wird. So läuft es dort mit vielen verbotenen Publikationen. Wir haben uns darüber natürlich sehr gefreut, denn das war Teil unserer Motivation, dieses Buch überhaupt zu schreiben: Wir wollten nicht nur die Welt aufrütteln und sie auf die Zustände im Iran hinweisen, sondern wir wollten auch der iranischen Bevölkerung zeigen, dass Menschen überall auf der Welt sich ihnen solidarisch verbunden fühlen, Anteil an ihrem Schicksal nehmen, dass sie nicht allein sind.

Was für Reaktionen haben Sie auf "Zahra's Paradise" bekommen – und welche haben Sie besonders in Erinnerung behalten?

Wir haben sehr viel positives und ermutigendes Feedback bekommen, insgesamt aus 151 Ländern. Das hat uns sehr motiviert. Sehr beeindruckend fand ich, dass sich in vielen dieser Länder Menschen freiwillig gemeldet und angeboten haben, "Zahra's Paradise" in ihre jeweilige Sprache zu übersetzen – zum Beispiel in der Tschechischen Republik, in Polen oder Armenien. Überall gab es Leute, die freiwillig ihre Zeit damit verbringen wollten, 172 Seiten zu übersetzen. Das ist ganz schön viel Arbeit. Der Enthusiasmus der Menschen hat für uns aber Sinn gemacht, denn das war ja der Punkt bei diesem Buch: Es sollte eben nicht nur eine iranische Geschichte sein. Es ist die Geschichte einer Mutter, die ihren Sohn verliert. Diese Geschichte betrifft jeden Menschen, überall auf der Welt, jeder kann sich damit identifizieren. Jeder kann die Suche der Mutter nach ihrem Kind nachvollziehen. Was Amir und mich bei unseren Reisen nach der Veröffentlichung am meisten bewegt hat, war die Tatsache, dass die Leser auch die anderen Themen des Buches verstanden haben: Themen wie Folter, politische Repressionen und das Verschwinden von Menschen. Sie haben sich über das persönliche Mutter-Sohn-Schicksal auch auf die politischen Aspekte des Buches eingelassen und sich damit identifiziert.