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Kicken für die Hoffnung

Oliver Samson3. Juli 2003

Der Boom ist endgültig vorbei: Im Fußball wird das Geld knapp - und unter den Profis grassiert die Arbeitslosigkeit. Ein spezielles Trainingscamp soll nun Form und die Hoffnung auf einen neuen Vertrag erhalten.

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Schreien gegen die Arbeitslosigkeit: Wolfgang RolffBild: AP

Es ist noch gar nicht lange her, dass die Vereine mit Gehältern, Prämien und Handgeldern nur so um sich warfen. Auch Spieler mit überschaubarem Talent konnten sich berechtigte Hoffnungen auf Millionen-Gagen und ein sorgenfreies Jet-Set-Leben machen. Diese Zeiten sind zumindest für die Masse der Profis vorbei: Sinkende Werbe- und Fernseheinnahmen zwingen die Vereine bei weiter wachsenden Schuldenbergen zu rigidem Sparen.

Sparen mit der Axt

Die Deutsche Fußball-Liga (DFL), in der die 36 Vereine der ersten und zweiten Bundesliga organisiert sind, rechnet für die Saison 2003/2004 mit einem Umsatzrückgang von 180 Millionen Euro. Alleine Bayer Leverkusen muss 30 Millionen einsparen. "Wir müssen unseren Etat mit der Axt zusammenhauen", so Bayer-Manager Rainer Calmund. Und dies gehe eben nur durch erhebliche Einsparungen im Personalbereich. Thomas Hüser, Geschäftsführer der Vereinigung der deutschen Vertragsfußballer (VdV) , rechnet im Gespräch mit DW-WORLD damit, dass die 72 Vereine im bezahlten Fußball ihren Kader im Schnitt um drei Spieler reduzieren. Damit würden 216 Profis zu Ex-Profis werden - und der deutsche Fußball hätte eine stattliche Arbeitslosenquote von 12,3 Prozent aufzuweisen.

Die Spielergewerkschaft hat sich jetzt zum Handeln entschlossen: Vereinslose Spieler sollen die Möglichkeit bekommen, sich professionell fit zu halten - für den Fall, dass die Hoffnung auf einen Vertrag doch noch in Erfüllung gehen sollte. Unter Anleitung eines ebenfalls arbeitslosen Trainers, des ehemaligen National-Spielers Wolfgang Rolff, wird einmal wöchentlich in Duisburg unter professionellen Bedingungen trainiert. Bisher kamen im Schnitt zehn Spieler pro Einheit. "Das werden ganz sicher bald mehr", sagt Hüser - die meisten Verträge liefen erst zum 30. Juni 2003 aus.

Keine Namen - und schon gar keine großen

Trainiert wird bisher unter Auschluss der Öffentlichkeit, um eine seriöse Vorbereitung zu ermöglichen. Auch Namen möchte VdV-Geschäftsführer Hüse keine nennen. Er sagt nur, dass noch keine großen Namen dabei waren. Trainiert werden soll mindestens noch bis Ende August 2003 - bis mit der Transfer-Frist auch die Möglichkeit einen neuen Vertrag zu finden ausläuft.

"In England und Frankreich haben sich diese Programme schon bewährt", sagt Hüser. "Dort werden auch Turniere gespielt, zu denen dann Spielervermittler eingeladen werden." Es ist wenig überraschend, dass England als Vorbild gilt: Im Mutterland des Fußballs gab es schließlich schon eine Gewerkschaft für Profis, als in Deutschland noch der Kaiser regierte: Anno 1907 wurde die Professional Footballer Association (FPA) gegründet. "99,9 Prozent der englischen Profis sind Mitglieder der FPA", sagt Hüser und klingt dabei fast ein wenig neidisch.

Die deutschen Kicker brauchten satte 80 Jahre länger, um sich zu gewerkllschaftlich organisieren. 65 Prozent der Kicker haben sich inzwischen der 1987 gegründeten VdV angeschlossen. "Das entwickelt sich", ist sich der Funktionär sicher - in schlechten Zeiten würden auch Fußballer die helfende Hand einer Gewerkschaft zu schätzen wissen. Zumal diese auch über den Spielfeldrand hinausreicht. Wenn es mit dem Vertrag beim neuen Verein nicht klappt, bietet der VdV Qualifizierungsmaßnahmen für einer Karriere nach der Karriere an. Früher war dies fast schon obligatorisch die Eröffnung eines Toto-Lotto-Ladens, "was aber auch nicht mehr so leicht ist", wie Hüser mit mildem Spott anmerkt. Die VdV arbeitet inzwischen mit dem renommierten Personaldienstleister Hudson zusammen - zu beiderseitiger Zufriedenheit, wie Hüser betont. "Die Spieler können meist schon ein paar Fähigkeiten als die am Ball aufweisen." Zumindest ihre körperliche Belastbarkeit würde ja außer Frage stehen.

Schlau kickt auch

Und die immer bespöttelten intellektuellen Fähigkeiten? "Dumm kickt gut", lautet eine Weisheit unter Fußball-Anhängern - doch die Zeiten, in denen Fußballspieler ihren Kopf nur für Kopfbälle hatten scheinen vorbei. "Viele Spieler haben eine durchaus gute Erstausbildung", sagt Hüser. 60 Prozent deutschen Profis haben nach einer aktuellen, allerdings nicht repräsentativen Erhebung der VdV Abitur oder zumindest Fachabitur. Schlau kickt auch - vielleicht ist das ja eine Erklärung für die Krise des deutschen Fußballs.