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Kinder als Waffe

Hans Sproß11. Februar 2012

Manchmal werden sie von den Taliban entführt und manchmal rekrutiert - afghanische Minderjährige werden zunehmend als Selbstmordattentäter eingesetzt.

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Ein verhafteter jugendlicher Selbstmordattentäter in einem Rehabilitierungszentrum in Kabul (Foto: AP) Photo/Kamran Jebreili)
Bild: AP

Nasibullah war erst neun Jahre alt. Trotzdem sollte er nach dem Willen der Taliban sein Leben schon beenden, bevor es richtig begonnen hatte. Er spielte an einem Bachufer in seiner Heimatstadt Kandahar, im Süden Afghanistans, als Nasibullah von einigen Männern entführt wurde. Sie nahmen ihn gefangen und unterzogen ihn ihrer Gehirnwäsche. Die sogenannten Gotteskrieger wollten aus ihm einen Selbstmordattentäter machen, der für ihren Krieg stirbt. "Sie haben mir eine Bombe umgeschnallt und mir versichert, dass es ein Spielzeug ist. 'Sobald du Soldaten siehst, kannst du die Kabel verbinden', haben sie zu mir gesagt."

Nasibullah hatte Glück: Bevor er seinen Auftrag ausführen kann, wird er von der Polizei entdeckt und in einen anderen Bezirk gebracht. Dort muss er noch 20 Tage warten, bis es den Behörden gelingt, ihn mit seinem Vater zusammenzubringen.

Neue Chance

Nasibullah konnte wieder nach Hause zu seiner Familie. Andere afghanische Jungen, die ebenfalls dazu ausgewählt worden waren, ihr Leben zu opfern, landeten im Gefängnis. Meist wurden diese nicht entführt, sondern hatten sich  angeblich "freiwillig" dazu entschlossen, zu sterben. Im Sommer 2011 ließ Präsident Hamid Karsai mehrere Kinder und Jugendliche frei, die wegen versuchter Selbstmordattentate festgenommen worden waren. Sie sollten Schulbildung und eine neue Chance im Leben bekommen. "Ihre eigenen Söhne machen (die Taliban) zu Ärzten und Ingenieuren. Unsere Kinder wollen sie zu Attentätern und Kriminellen machen, damit unser Land keine Fortschritte erzielen kann", sagt Karsai.

Präsident Karsai und ein Junge, der zum Selbstmordattentäter bestimmt war (Foto: ddp/AP)
Präsident Karsai und ein Junge, der zum Selbstmordattentäter bestimmt warBild: AP

Kinder im Dschihad

Schon bevor die Taliban Kinder und Jugendliche als Selbstmordattentäter missbrauchten, wurden letztere in Afghanistan als Soldaten rekrutiert. General Atiqullah Amarkhel, ehemaliger Kommandeur in der afghanischen Armee: "Auch im Krieg gegen die Sowjetunion wurden Jugendliche aufgerufen, in den Krieg zu ziehen und am Dschihad teilzunehmen." Auch heute habe diese Propaganda eine starke Wirkung auf Jugendliche. Sie würden mitunter eigenständig in den Krieg ziehen, ohne dass die Eltern davon wüssten.

Die minderjährigen Attentäter sind in der Hand der Taliban nicht nur ein perfektes Kriegswerkzeug, sondern spielen auch für ihre psychologische Kriegsführung eine wichtige Rolle, wie der Ex-General erläutert. "Der Feind will seine Gegner mit Selbstmordattentaten moralisch schwächen. Man kennt die Auswirkungen auf die ausländischen Soldaten, die psychische Schäden davontragen. Dieser Krieg ist kein Frontenkrieg, sondern ein Guerillakrieg. Die Gegner der Taliban sollen mit allen Mitteln geschwächt und zur Aufgabe gezwungen werden."

Armut hilft Taliban

Die Armut ist ein Faktor, der den Taliban die grausame Rekrutierung von Minderjährigen als Selbstmordattentäter erleichtert. Insbesondere Kinder würden von den versprochenen großen Geldbeträgen als Lohn für ihren Auftrag geblendet. Von den tödlichen Konsequenzen ihres Handelns für sich selbst und andere machten sie sich noch keinen Begriff, so Azizuddin Hemat, Chef der psychologischen Betreuung im Gesundheitsamt von Kabul. Er weist auf einen weiteren Faktor hin: "Die Kinder, die sich entschließen, als Selbstmordattentäter zu sterben, sind oft in streng religiösen Familien aufgewachsen. Seit frühester Kindheit wurden sie angehalten zu beten und religiöse Riten einzuhalten. Es ist leichter, diese Kinder zu rekrutieren."

Schülerinnen und Schüler einer Dorfgrundschule in Afghanistan (Foto: dpa)
Schulleben in Afghanistan, nicht für alle Kinder NormalitätBild: picture-alliance/dpa

Der schüchterne Nasibullah aber wollte nicht sterben. Er wollte wieder nach Hause, zu seiner Familie. Sein Vater ist glücklich, dass er ihn wieder bei sich hat. "Ich bin überall mit dem Auto herumgefahren, um ihn zu finden, ich habe mir sogar ein Amulett anfertigen lassen und habe mein ganzes Geld ausgegeben. 72 Tage habe ich nach ihm gesucht." Nasibullahs Vater hofft nun, dass sich die Sicherheit in Kandahar verbessert. Seine Kinder könne er schließlich nicht in einen Käfig sperren.

Autorin: Waslat Hasrat-Nazimi
Redaktion: Hans Spross