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Kinder für Cybersex missbraucht

Roxana Isabel Duerr4. Februar 2016

Die Cybersex-Industrie ist weltweit ein Milliardengeschäft.Auch auf den Philippinen. Bittere Armut und eine wachsende digitale Infrastruktur führen dazu, dass sich dort immer mehr Kinder virtuell prostituieren.

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Philippinen Rotlichtviertel von Manila
Bild: DW/R.I. Duerr

Ibabao, ein verschlafener Küstenort mit Schotterstraßen, gesäumt von Kokospalmen und Kapellen, rund 500 Kilometer südlich der Hauptstadt Manila. Hier kennt jeder jeden, die Familienbande sind eng und der Zusammenhalt zwischen den Bewohnern groß. So groß, dass über Jahre hinweg die Wahrheit nie zu Tage trat. In den kleinen Bambushütten und Backsteinhäuschen, meist dekoriert mit Marienstatuen, wurden Kinder vor laufenden Webkameras zu sexuellen Handlungen gezwungen, von Nachbarn oder gar von den eigenen Eltern. Die Videos, bestellt und bezahlt von Pädophilen auf der ganzen Welt, wurden live im Internet übertragen. Einige Dorfbewohner gaben die Fischerei oder die Fabrikarbeit auf, zu lukrativ war das Geschäft mit dem Webcam-Sex. Und Ibabao ist bei weitem kein Einzelfall auf den Philippinen.

Armut und wachsende digitale Infrastruktur

Der virtuelle Sextourismus ist in vielen Teilen der Welt eine Wachstumsbranche, doch in Südostasien boomt das Geschäft geradezu. In Ländern wie den Philippinen, Kambodscha und Indonesien, die zu den Drehpunkten des Cybersex gehören, treffen bittere Armut und digitale Infrastruktur radikal aufeinander – mit dramatischen Folgen. 2015 hatte der gesamte Kontinent mit mehr als 1,6 Milliarden Menschen die höchste Zahl der Internetnutzer weltweit. Hilfsorganisationen schätzen, dass sich allein auf den Philippinen mehrere zehntausend Kinder in Hinterzimmern von Internetcafés oder Wohnungen virtuell prostituieren. Manche Familien bauen gar ein ganzes Geschäft auf, mit nur einem Laptop von Zuhause aus. Meistens erhalten sie zwischen 10 und 100 US-Dollar pro "Show" – ein Vermögen in einem Land, in dem rund 60 Prozent der Bevölkerung mit nur zwei Dollar am Tag auskommen muss.

"Sweetie" lockte Pädophile aus aller Welt

Und die internationale Nachfrage ist riesig. Das FBI schätzt, dass rund um die Uhr etwa 750.000 Pädophile in den mehr als 40.000 öffentlichen Chatrooms auf der Suche nach expliziten Kontakten mit Minderjährigen sind. 2013 startete die Menschenrechtsorganisation “Terre des Hommes” in den Niederlanden eine Aktion, die ihnen ermöglichte, die Namen von 1000 Pädophilen an Interpol zu überreichen. Forscher des Hilfswerks gaben sich online als "Sweetie" aus, eine computeranimierte Figur eines 10-jährigen philippinischen Mädchens. Das Ergebnis: Im Zeitraum von zehn Wochen wurde "Sweetie" von mehr als 20.000 Pädophilen weltweit kontaktiert, die alle Webcam-Sex von dem Mädchen forderten. Bisher wurden drei Männer in Australien, Belgien und Dänemark verurteilt.

Computergeneriertes Kind Sweetie (Foto:dpa)
Mithilfe von "Sweetie" konnten Pädophile in der ganzen Welt ausfindig gemacht werden.Bild: picture-alliance/dpa

Umfassende Gesetze, schwache Justiz

Zwar hat die philippinische Regierung bereits 2012 ein Gesetz verabschiedet, in dem Cybersex im weitesten Sinne strafbar gemacht wird. "Das Problem ist jedoch, dass sich viele Cybersex-Betriebe in privaten Wohnungen niederlassen und Durchsuchungen dort nicht ohne richterliche Verfügung stattfinden können", betont Dolores Alforte vom Kinderschutz-Komitee der philippinischen Regierung. Eine zusätzliche Herausforderung, denn in vielen Gegenden sei Cybersex bereits sozial akzeptiert, so Alforte – ganze Nachbarschaften würden sich bei diesem Thema in eine Mauer des Schweigens hüllen. Zudem ist das Justizsystem auf den Philippinen schwach, Prozesse ziehen sich meist über Jahre hinweg und nur in den wenigsten Fällen werden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen.

Lebenslange Traumata

Viele verantwortliche Angehörige und Eltern, die von der Polizei befragt wurden, verharmlosen das Posieren von Kindern vor der Kamera und argumentieren, dass es nicht mit der gängigen Prostitution gleichzusetzen sei, es fehle ja der körperliche Kontakt. Studien, wie die von Terre des Hommes, zeigen jedoch, dass Opfer von Webcam-Kinderprostitution oft unter schweren, lebenslangen Traumata leiden. Die psychischen Folgen sind dabei ähnlich verheerend wie bei Fällen von körperlichem Missbrauch. Viele ausgebeutete Kinder haben Schuldgefühle, leiden unter Angst und Depressionen und können keine richtigen Beziehungen aufbauen. Einige entwickeln einen Hang zur Selbstzerstörung und nehmen bereits in jungen Jahren Alkohol und Drogen zu sich.

Heilende Therapie für die Opfer

Um sexuell missbrauchten Kindern zu helfen, ihren Schmerz zu verarbeiten, hat die philippinische Kinderschutzorganisation PREDA eine sogenannte "Schreitherapie" entwickelt. "Negative Gefühle müssen geäußert werden, nur so können sich die Kinder davon lösen und wieder Selbstbewusstsein erlangen", sagt Shay Cullen, PREDA-Gründer und Mitentwickler der Therapie. Unter Anleitung von Psychologen werden die von der Kinderschutzorganisation aufgenommenen Mädchen direkt mit ihren Erfahrungen und Erinnerungen konfrontiert. In einem mit Polstern und Matten ausstaffierten Raum können sie ihrer Wut und Trauer freien Lauf lassen. Die Mädchen fluchen, weinen, schlagen auf die Matratzen ein und wälzen sich in einem tranceartigen Zustand auf dem Boden. Es ist eine der ersten Therapiesitzungen für die 15-jährige Sarah, die dem Cybersexgeschäft entfliehen konnte. Sie ist auf dem Weg der Besserung, aber die Erinnerungen an die Männer, die sie für ihre Shows bezahlten, sind noch frisch. Sarahs junge Gesichtszüge verhärten sich bei dem Gedanken an sie: "Ich verabscheue sie alle. Ich will, dass sie in die Hölle kommen." In Kunsttherapien werden die Kinder bei PREDA ermutigt, ihre Hoffnungen und Träume für die Zukunft malen. Nach reiflicher Überlegung malt Sarah schließlich einen mit bunten Früchten überladenen Baum, unter dem Menschen Hand in Hand tanzen – darüber schreibt sie die Worte "Liebe", "Respekt" und "Würde".

Slum in Manila (Foto:Getty Images)
Bittere Armut bringt viele philippinische Familien dazu, ihre Kinder für den Cybersex-Markt zu missbrauchenBild: Getty Images/P. Bronstein