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Kinder, Kinder!

Peter Stützle14. Dezember 2007

Sterben die Deutschen doch nicht aus? Im Jahr 2007 zeichnet sich erstmals seit langem wieder ein leichter Anstieg der Geburtenzahlen ab. Das könnte ein Erfolg der neuen Familienpolitik sein - oder des Fußballs.

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Bild: DW

Seit nunmehr vier Jahrzehnten kommen in Deutschland immer weniger Kinder zur Welt, die Zahl der Neugeborenen hat sich seit Mitte der 1960er-Jahre fast halbiert. Ab und zu gab es mal einen kleinen Ausreißer nach oben, zuletzt 1996 und 1997. Seitdem gingen die Geburtenzahlen wieder Jahr für Jahr zurück - von 812.173 im Jahr 1997 auf 672.724 im letzten Jahr.

Das Jahr 2007 ist noch nicht vorbei, aber schon die Zahlen der ersten neun Monate reichten, dass Zeitungen auf Seite 1 titeln konnten: "Wieder mehr Kinder in Deutschland". Denn gegenüber dem ersten Dreivierteljahr 2006 gab es ein Prozent mehr Geburten, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte.

Prompt kamen die ersten Stimmen, die diese Entwicklung der Politik der Großen Koalition zuschrieben. Noch relativ zurückhaltend sagte ein Sprecher von Familienministerin Ursula von der Leyen, man freue sich, "dass offensichtlich junge Familien wieder den Mut haben, mehr Kinder zu bekommen". Die Hoffnung sei groß, "dass der Trend sich fortsetzt".

Wesentlich eindeutiger sprach die Vorsitzende des Bundestags-Familienausschusses Kerstin Griese von einem "Signal, dass unsere Familienpolitik anfängt, sich positiv auszuwirken". Sie meinte vor allem das Elterngeld, das 14 Monate lang einen Großteil des bisherigen Lohns ersetzt, wenn Eltern wegen eines Kindes im Beruf pausieren.

Diese Idee aus dem wesentlich kinderreicheren Skandinavien hatte die Große Koalition Anfang dieses Jahres in Deutschland eingeführt. Der familienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johannes Singhammer, warnte allerdings vor zu viel Euphorie: "Die sich stabilisierenden Geburtenzahlen sind noch kein Grund zum selbstzufriedenen Zurücklehnen. Sie stoppen gerade mal den freien Fall nach unten.“

Tatsächlich wird man erst nach längerer Zeit feststellen können, ob das Elterngeld und der Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen tatsächlich eine Trendwende bringen. Der Bielefelder Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg wies darauf hin, dass die Wirkung politischer Einzelmaßnahmen zur Geburtenförderung oft gering und kaum von Dauer sei. Häufig komme es nur zu einmaligen Effekten, weil ohnehin geplante Geburten vorgezogen würden. Auf Dauer helfe nur ein Mentalitätswandel in der Gesellschaft.

Birg führt den aktuellen Trend eher auf die Euphorie im Zusammenhang mit der Fußball-WM 2006 im eigenen Land zurück - gewissermaßen eine Fortsetzung der stürmischen Aktivitäten auf dem grünen Rasen im eigenen Bett. Sollte Birg recht haben, wäre es ein überlegenswerter Gedanke für Bevölkerungspolitiker, mehr Geld für die Sportförderung zu verlangen.

Zur ganzen Wahrheit gehört, dass weit mehr als die erfreulichen Geburtenzahlen traurige Nachrichten über Kinder die letzten Tage beherrschten: Kindstötungen, Misshandlungen, Fälle grausamer Vernachlässigung. Und viele Politiker reagierten auf diese Häufung schrecklicher Meldungen mit dem typisch deutschen Reflex, man müsse Gesetze ändern, dann ändere sich die Wirklichkeit. Am besten gleich das Grundgesetz, die deutsche Verfassung. Da müssten neben den Elternrechten auch Kinderrechte festgeschrieben werden, so Politiker fast aller Parteien.

Nun ist die Verbriefung der Elternrechte im Grundgesetz vor allem eine Reaktion auf Erfahrungen während der nationalsozialistischen Diktatur, als der Staat missliebigen Eltern die Kinder wegnahm. Das geschah übrigens später auch in der kommunistischen Diktatur der DDR. Deshalb bestimmt das Grundgesetz, dass Kinder nur von der Familie getrennt werden dürfen, "wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen".

Genau das aber war bei den derzeit beklagten Verbrechen an Kindern der Fall. Es war wiederum der schon erwähnte Johannes Singhammer, der vor allem eine bessere Betreuung gefährdeter Familien forderte; denn ins Grundgesetz würden solche Eltern kaum schauen.

Kinder, Kinder, es gibt doch noch vernünftige Leute in der Politik.