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"Alaaf you" im Kino

Silke Wünsch2. Februar 2016

Ein Dokumentarfilm, produziert aus hunderten Sequenzen, gefilmt mit Handykameras. Hier ist der echte Karneval, jenseits von bunten Clowns und prunkvollen Umzügen. Eine Liebeserklärung an eine verrückte Stadt.

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Die Band"Querbeat" auf der Bühne
Die Band "Querbeat" leistet Schwerstarbeit mit bis zu zehn Auftritten am TagBild: Camino Filmverleih

Das ungeschminkte Gesicht des Karnevals - das wollten die beiden Kölner Filmemacher Eric Benz und Baris Aladag in ihrem Projekt zeigen. Sie riefen die Kölner nach dem Motto "Zeigt uns euren Karneval" dazu auf, den Karneval so zu filmen, wie sie ihn erleben. So, wie die Fernsehsendungen ihn nicht zeigen: kleine Geschichten, überraschende Momente, Lebensfreude, Anstrengung, auch das Elend am Rande.

So geschehen. Vor zwei Jahren haben sich Karnevalsfans ins Gewühl gestürzt und mit ihren Handys alles gefilmt, was ihnen begegnet ist. Herausgekommen sind über 500 Stunden Material. Daraus ist der erste Dokumentarfilm Deutschlands geworden, der nur aus "usergenerated Content" (von Nutzern beigesteuerten Inhalten) besteht. "Alaaf you" ist jetzt in die Kinos gekommen.

Das kann kein Drehbuch leisten

Die Partymeile "Zülpicher Straße" im Kölner Studentenviertel - kurz vor Schluss
Partymeile "Zülpicher Straße": hier wurde seit dem Vormittag gefeiert. Dieses Bild bietet sich morgens gegen 3, 4 UhrBild: Camino Filmverleih

Kamerafahrt durch eine Straße im Kölner Studentenviertel "Kwartier Latäng". Es ist spät abends. Verkleidete Menschen schlendern auf und ab, manche torkeln. Eine junge Frau beugt sich nach vorne und übergibt sich auf den Asphalt. Ein Mann fällt um, andere ziehen ihn wieder hoch. Auf dem Boden Müll: Plastikbecher, Papier, Essensreste, verlorene Teile von Kostümen. Die meisten Kneipen haben schon zu, aus anderen dröhnt noch Musik – für diejenigen, die noch kein Ende finden wollen.

Die minutenlange Eröffnungssequenz soll mehr zeigen als nur den traurigen Rest einer Riesenparty. Sagt Eric Benz, der Produzent von "Alaaf You": "Wir fanden diese Szene einfach unglaublich schön, weil sie den Zuschauer direkt in das Geschehen reinzieht. Da passiert so viel, sowas kann man gar nicht inszenieren. Das ist das Tolle an diesem usergenerated Content – wir gucken durch das Auge des Betrachters, authentischer geht's nicht." Die Schönheit in dieser Szene liege vor allem im Zwischenmenschlichen. "In dem Absturz, den man da sieht, sehe ich viel Liebe. Sie sind zwar alle schon völlig zerstört, aber sie gehen immer noch liebevoll miteinander um – indem sie sich in ihrem Elend gegenseitig helfen. Dieses Miteinander finde ich einfach schön."

Ein Massenbesäufnis im Namen der Kirche?

Der Zuschauer erlebt den Karnevalsprinzen und sein Gefolge hinter der Bühne. Eine Karnevalsband, die von Auftritt zu Auftritt hetzt. Den Popsänger Clueso mit Perücke, der sich mit seinen Kollegen und ein paar Instrumenten auf die Straße begibt und zwischen den Jecken Reggae spielt. Menschen in rappelvollen Kneipen. Feiernde Jugendliche auf den Straßen. Die Nubbelverbrennung – das Symbol für das Ende des Karnevals, eine schaurig-schöne Zeremonie mit Trauermarsch und einer brennenden Puppe.

Popstar Clueso macht Straßenmusik
Popstar Clueso macht StraßenmusikBild: Camino Filmverleih

Massenszenen wechseln sich mit kurzen Interviews ab. Ein Exilkölner versucht sich am frühen Morgen des Weiberfastnachtsdonnerstags mit dem Zug von Berlin nach Köln durchzuschlagen. Er möchte pünktlich um 11 Uhr 11 zur Eröffnungsparty am Altermarkt sein, schafft es nicht ganz, feiert trotzdem drauf los. Sein steigender Alkoholpegel bleibt dem Zuschauer nicht verborgen.

Eine Frau aus Norwegen will herausfinden, was dieses Karneval eigentlich ist. Und stellt Fragen: Wie kann Karneval ein katholischer Brauch sein, wenn sich alle so dermaßen betrinken? Und: Warum wird die Jungfrau aus dem Dreigestirn von einem Mann dargestellt? Travestie und Kirche – wie passt das zusammen? Mit der Kamera stürzt sie sich ins Getümmel, kann aber auch nach mehreren Tagen nicht herausfinden, was die Leute hier wirklich feiern. Bis sie im Geisterzug, dem alternativ-anarchischen Ableger des Kölner Karnevals, ihre Antwort findet: Karneval ist Anarchie und Freiheit.

Furcherregende Maske im Geisterzug
Der Geisterzug findet nur am Karnevalssamstag stattBild: Camino Filmverleih

Szenenapplaus im Kinosaal

Der Karneval hat viele Gesichter. Vor allem dies möchte der Film zeigen, so Produzent Eric Benz. "Das Schöne am Karneval ist ja, dass all diese verschiedenen Gesichter nebeneinander existieren. Der Karneval ist deutlich vielfältiger als er üblicherweise dargestellt wird." In vielen Szenen findet sich der Kölner wieder. Bekommt den Spiegel vorgehalten und hat vieles selbst schon erlebt. Im Kino wird gelacht, manchmal gibt es auch Szenenapplaus.

Als die Massenszenen vom Kölner Hauptbahnhof kommen, wird es dem einen oder anderen Zuschauer doch mulmig. Gezeigt wird, wie tausende fröhlicher Menschen aus den Zügen quellen, in Massen durch den Bahnhof laufen. Auf dem Bahnhofsvorplatz stehen die Feiernden eng beieinander und drängen Richtung Dom und Altstadt.

Diese Szenen wurden zwei Jahre vor den Krawallen in der Silvesternacht gedreht. "Jetzt sieht man diese Szenen mit anderen Augen", so Benz. Die Szenen rauszuschneiden, das kam für Benz und Aladag nicht in Frage, sie haben sie erst recht drin gelassen. "Dadurch gewinnt der Film an Kraft. Diese Szenen sind ja jetzt wie ein Zeitdokument. Vor zwei Jahren haben die Leute das noch ganz anders gesehen, unbeschwert."

Der Nubbel - eine alte Puppe in Lebensgröße - wird auf einer Sänfte zum Scheiterhaufen getragen
Wenn der Nubbel brennt, werden den Jecken alle Karnevalssünden verziehenBild: Camino Filmverleih

Die 90 Minuten lange Doku ist durch Crowdfunding und mit Hilfe der Filmförderung entstanden. "Alaaf you" läuft nur in wenigen Kinos in Deutschland, größtenteils im Rheinland, in ein paar Berliner Kinos und in Baden-Württemberg. Das Ziel, "der Welt den Kölner Karneval zu zeigen, wie er wirklich ist", dürfte damit schwerlich erreicht werden. Schade, denn viele, die dem rheinischen Karneval mit Unverständnis begegnen, könnten nach dem Film vielleicht nachvollziehen, warum Hunderttausende fünf Tage im Jahr völlig ausrasten.