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Eine christliche Insel im säkularen Osten

Wolfram Nagel8. November 2013

Herrnhut ist eine religiöse Insel im säkularen Osten. Das Losungsbuch und ein besonderer Stern sind weltbekannte Markenzeichen der Kleinstadt in der Oberlausitz. Auch Kirchengründer Graf Zinzendorf ist überall präsent.

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Herrnhuter Brüdergemeine: Blick auf das Zentrum der Brüdergemeine in der kleinen Stadt Herrnhut/Oberlausitz. Im Hintergrund das Zittauer Gebirge. Copyright: Herrnhuter Brüdergemeine zugeliefert von: Klaus Krämer ***Die Bilder dürfen ausschließlich für den Artikel verwendet werden, in dessen Rahmen die Herrnhuter Brüdergemeinde sie zur Verfügung gestellt hat***
Bild: Herrnhuter Brüdergemeine

Von einer kleinen Siedlung zu einem frommen Städtchen – so könnte man die Geschichte von Herrnhut knapp umreißen. Die Herrnhuter Brüdergemeine ist eine evangelische Glaubensbewegung, die bis in die entlegensten Winkel der Erde wirkt. "1722 wurde Herrnhut von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf gegründet", erklärt Pfarrer Thomas Przyluski. Er betont das Wort „Gemeine“, das sich vom herkömmlichen Begriff der Gemeinde abgrenzt. Manches in Herrnhut sticht bereits auf den ersten Blick ins Auge.

Der etwas andere Kirchensaal

So ist der Kirchsaal auffallend anders als die Mehrzahl klassischer protestantischer Kirchenräume. Die Wände, Bänke, Emporenbrüstung, selbst der Orgelprospekt sind weiß. Wenige Blumen in den Fensternischen schmücken den breiten Raum. Einen Altar sucht man vergebens. Ein mit einem grünen Tuch bedeckter Tisch vor den Bankreihen markiert den Platz des Versammlungsleiters, also des Predigers. Gottes Wort und die Menschen, die es hören, seien das Wichtigste in der Herrnhuter Brüdergemeine, sagt Pfarrer Przyluski: "Weiß ist die Farbe der Reinheit, der Freude. Doch wenn die Menschen hier Gottesdienst feiern, dann wird der Saal immer sehr bunt."

Herrnhuter Brüdergemeine Herrnhuter Brüdergemeine - IMG_5263.JPG der historische Kirchensaal in Herrnhut (Herrnhuter Brüdergemeine, Juli 2013) Weiße Bankreihen, weißer Raum mit Empore. vier Fenster, Blumen auf den Fensterbänken, davor ein weißer Stuhl mit grünem Polster und ein mit grünem Samt bedeckter Tisch. Autor: Wolfram Nagel
Außergewöhnlich - der strahlend weiße KirchensaalBild: Wolfram Nagel

Der Wert von Kirche zeige sich nicht durch Äußerlichkeiten, sondern durch die Gemeinschaft der Gläubigen, betont der Pfarrer. Sie versammeln sich in ihrer Guten Stube. "Es gibt keinen besonders heiligen Ort. Jeder Ort, an dem wir als Gemeinde zusammen kommen, an dem wir Gott loben und Gemeinschaft feiern, ist gleich heilig." Symbol dafür ist das Gotteslamm mit der Siegesfahne, neben einem kaum wahrnehmbaren Kreuz. Früher habe es gar kein Kreuz gegeben, sagt der Theologe. Für die ersten Herrnhuter sei es das Zeichen der katholischen Gegenreformation gewesen. "Die ersten Ansiedler von Herrnhut waren Glaubensflüchtlinge aus Böhmen und Mähren. Die haben sich in Abgrenzung zur römisch-katholischen Kirche das Siegenslamm als Zeichen gegeben," erzählt Przyluski.

Liebesmahl für Verständigung

Graf Zinzendorf, Begründer der neuen protestantischen Erweckungsbewegung, wollte "in der versöhnenden Liebe Gottes" mit Katholiken und Lutheranern leben. So entstand das Liebesmahl. Daran erinnern Rosinenbrötchen und Teetassen in einer Vitrine des kleinen Museums. An langen Winterabenden kamen die Menschen zusammen. Sie aßen, tranken, beteten und sangen. Heimgekehrte Missionare erzählten aus fernen Ländern. "Leider trifft man sich heute nur noch selten zum Liebesmahl, nach Begräbnissen und wenn Gäste nach Herrnhut kommen", sagt Thomas Przyluski und blickt auf das vertrocknete Gebäck vor ihm. Es erinnert ihn an einen Besuch vor bald 40 Jahren.

Damals kamen Nachkommen missionierter Sklaven aus Surinam nach Herrnhut. Sie pflanzten eine Catalpa auf den Platz vor dem Kirchensaal. Überraschenderweise hat er tropische Baum hat bisher alle Winter gut überstanden. Die großen Blätter beschatten und beschirmen bis in den Spätherbst hinein die Marmorbüste des Grafen Zinzendorf, der seinerzeit die ersten Missionare nach Südamerika, Alaska oder Südafrika aussandte.

Herrnhuter Brüdergemeine Herrnhut Eula 156.jpg dito Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf unter der Catalpa (Herrnhut, Wolfram Nagel, Juli 2013) Ein Denkmal aus rotbraun, poliertem Granit, als Nahaufnahme ohne Aufschrift. Darauf die weiße Marmorbüste eines älteren Mannes mit langen, nach hinten gestrichenen Haaren. Das Denkmal steht vor einem Baum mit grünen lichten Blättern. Im Hintergrund eine Wiese und ein Gebäude. Autor: Wolfram Nagel
Eine Catalpa beschattet die Büste des Grafen ZinzendorfBild: Wolfram Nagel

Bibelverse auslosen

Der Vogtshof, ein barockes Herrenhaus, ist Stammsitz der Brüderunität. Im modernen Archiv lagern Dokumente aus fast 300 Jahren Missionsgeschichte. Dazu gehören auch die Losungsbücher die seit 1731 erschienen sind.Einmal im Jahr werden im Vogtshof die sogenannten Losungen gezogen. An dem Ritual hat sich seit Anbeginn kaum etwas geändert. In einer Schale befinden sich über 1000 Papierstreifen mit Nummern. "Hinter jeder Nummer verbirgt sich eine Textstelle aus dem Alten Testament der Bibel", erklärt Thomas Przyluski. Seit dem 3. Mai 1728 verkündete Graf Zinzendorf jeweils einen Bibelspruch als Motto und zur Inspiration für jeden Tag. Ab 1731 ließ er das erste Losungsbuch mit 365 Versen für jeden Tag eines Jahres drucken. Für viele Christen in der weltweiten Ökumene ist dieses Buch heute ein einendes spirituelles Band. Von Herrnhut aus werden die Losungen in 55 Sprachen rund um den Globus verbreitet.

Herrnhuter Brüdergemeine Herrnhut Eula 137.jpg Tisch im Vogtshof, an dem die Losungen gezogen werden (Herrnhut, Wolfram Nagel, Juli 2013) Ein weißer Raum. Links und rechts je zwei Gemälde. Die linke Tür steht offen, die rechte ist geschlossen. In der Mitte steht ein ovaler Tisch mit weißer Platte und barock geschwungenen Füßen, umringt von acht Stühlen. Darauf eine Blumenschale. Autor: Wolfram Nagel
An diesem Tisch werden die Bibelverse ausgelostBild: Wolfram Nagel

Stern als Markenzeichen

Ebenfalls in aller Welt leuchten um Weihnachten die Herrnhuter Sterne. Seit fast 100 Jahren wird dieser selbst entworfene dreidimensionale Stern von Bethlehem mit 25 Zacken in einer eigenen Maufaktur hergestellt. Gelb oder rot hebt er sich vom Weiß der Herrnhuter Kirchensäle oder dem Alltag der Menschen.

In der Schauproduktion der neu gebaute Sterne-Manufaktur von Herrnhut hängen Dutzende Sterne von der Decke. (Herrnhut, Wolfram Nagel, Juli 2013) Herrnhut Eula 159.jpg Schauproduktion in der Sternemanufaktur (Herrnhut, Wolfram Nagel, Juli 2013) Roter Tresen, dahinter sitzen vier Frauen mit roten Shirts, eine Frau auf der rechten Seite steht, spricht mit einer Kollegin. Auf dem Tresen liegen Einzelteile und ein fertiger Stern. Die Decke ist mit zahlreichen Sternen geschmückt, gelb, rot, rotweiß, gelbweiß Eine Besucherin betrachtet etwas auf dem Tresen, einer andere rechts stehende Besucherin blickt auf das Geschehen. Autor: Wolfram Nagel
Ein Himmel voller Sterne - die neu gebaute Sterne-Manufaktur von HerrnhutBild: Wolfram Nagel

Selbst zu DDR-Zeiten wurde das himmlische Zeichen von der Geburt Christi in großen Stückzahlen produziert, im Volkseignen Betrieb VEB Stern. Herrnhut war damals eine Insel der Seligen, denn weder die Staatspartei SED noch der Staatssicherheitsdienst schafften es, die Brüdergemeine zu unterwandern.

Anfang der 1980er Jahre wurden in der eigenen Druckerei die berühmt gewordenen Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ gedruckt und tausendfach verbreitet. Auf diese Weise trug die Herrnhuter Brüdergemeine zur Entstehung der christlichen Friedensbewegung in der DDR bei - und am Ende auch zum Fall der Mauer.