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"Kirchen haben unerhörte Aufgabe bei der Neugestaltung Europas"

15. Februar 2007

Im Interview mit DW-RADIO spricht der emeritierte Bischof Josef Homeyer über die notwendige Versöhnung zwischen West und Ost-Kirchen und deren Rolle bei der Gestaltung des erweiterten Europa.

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Josef Homeyer plädiert für Gottesbezug in der EU-VerfassungBild: dpa

Josef Homeyer war bis 2004 Bischof in Hildesheim. Er bemüht sich seit Jahrzehnten um die Versöhnung mit den Ländern Ost- und Südosteuropas und um ein besseres Verhältnis zwischen der Römisch-Katholischen und der Orthodoxen Kirche. Dafür ist er vielfach ausgezeichnet worden.

DW-RADIO: Die Europäische Union wird größer. Traditionell orthodoxe Staaten wie Bulgarien oder Rumänien sind jetzt Mitglieder des Brüsseler Clubs. Andere orthodoxe Staaten wie Serbien, Mazedonien oder die Republik Moldau werden folgen. Wie sehen Sie die Rolle der Kirche bei der Erweiterung der EU?

Josef Homeyer: Ich denke, eine der Aufgaben der Kirche ist es in der Tat, mit den Bruder- und Schwesterkirchen zu kommunizieren und mit ihnen gemeinsam die Zeichen der Zeit, die Herausforderungen der Neugestaltung Europas wahrzunehmen. Hier haben die Kirchen in der Tat eine unerhörte Aufgabe.

Um zwei zu nennen: Die Kirchen haben sich in den letzten tausend Jahren manches Verhalten geleistet, was mit dem Stifter, Jesus Christus, sicherlich nicht zu vereinbaren und vor ihm zu verantworten ist. Dass da die westliche Kirche sich besonders hervorgetan hat, was Schuld bedeutet, kann man nicht bezweifeln. Hier eine Brücke zur Vergangenheit aufzubauen und etwas wie Versöhnung zu stiften, halte ich für einen authentisch-originären Auftrag der Kirchen.

Dieses neue Europa wird nach meiner Überzeugung nur Zukunft haben können, wenn es begreift, dass die Herkunftsbedingungen dieses Europas zugleich Existenzbedingungen sind und auch heute noch ihre Gültigkeit und Wirkung haben. Da ist die Rolle des Christentums neben dem Judentum ja wohl nicht zu bezweifeln. Dies wahrzunehmen und dies überzeugend einzubringen, scheint mir einfach die Aufgabe der Kirchen zu sein.

DW-RADIO: Sie befürworten somit auch einen Gottesbezug in der EU-Verfassung?

Ja, ich halte ihn eigentlich für selbstverständlich, wenn er so sein wird wie es auch von den Kirchen vorgeschlagen worden war, das gemeinsame jüdisch-christliche Erbe festzustellen. Da ist es nur das Feststellen einer historischen Wahrheit.

DW-RADIO: Sollten Ihrer Meinung nach die Geheimdienstarchive in den Ländern Ost- und Südosteuropas geöffnet werden?

Ich denke schon. Es kommt nur darauf an, unter welchen Bedingungen. Es muss zunächst den Betroffenen Einsicht gewährt werden. Und zweitens wird man überlegen müssen, in der Kirche, aber auch in der Gesellschaft, wie man denn nun mit dieser Vergangenheit umgeht.

Ich denke, dies bedarf einer gründlichen Überlegung. Den Menschen in ihren Herausforderungen unter den damaligen Bedingungen gerecht zu werden, dies heute beurteilen zu wollen, ist nicht einfach. Dies kann man nicht dem Einzelnen, nicht dem Zufall überlassen, hier bedarf es schon gemeinsamer Kriterien. Und die müssen einfach aufgestellt werden, bevor solche Archive geöffnet werden.

Das Gespräch führte Miodrag Soric
DW-RADIO, 8.2.2007, Fokus Ost-Südost