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Klare Worte für Ankara!

Rainer Sollich10. Oktober 2002

Enttäuschung in der Türkei: Die EU-Kommission nennt noch keinen Termin für Beitrittsverhandlungen. Ein weiteres Beispiel für mangelnde Ehrlichkeit zwischen Türkei und EU, meint Rainer Sollich in seinem Kommentar.

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Um es ganz klar zu sagen: Es gibt kein natürliches Recht der Türkei auf einen EU-Beitritt. So ein Recht kann weder durch die langjährige Bündnistreue des Landes als NATO-Mitglied begründet werden, noch mit der Angst, dass sonst Fundamentalisten in Ankara die Macht übernehmen könnten, und auch nicht durch die europäische Grundorientierung des Landes seit Kemal Atatürk. Auch der in den 60er Jahren geschlossene Assoziierungsvertrag mit der damaligen EG sieht keine einklagbare Beitrittsperspektive vor.

Gleichwohl ist der türkische Unmut über den EU-Fortschrittsbericht verständlich. Denn Ankara hat, zumindest auf dem Papier, enorme Fortschritte in Sachen Demokratie und Menschenrechte gemacht. Beispiele dafür sind die Abschaffung der Todesstrafe und die Erlaubnis für Kurdisch-Unterricht an türkischen Schulen. Also genau das, was die Europäer immer wieder von den Türken als Bedingung für einen späteren EU-Beitritt gefordert haben. Die Regierenden in Ankara haben diese Reformen gegen große innenpolitische Widerstände durchgesetzt, in der Hoffnung, dass Brüssel nun ein weiteres Zugeständnis macht: die Nennung eines konkreten Datums für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Wobei ein solches Datum noch nichts über den eigentlichen Beitritts-Termin aussagen würde, denn der Beitritt ist abhängig von der Einhaltung bestimmter europäischer Mindeststandards. Und die hat Ankara in der Tat noch lange nicht erfüllt, weder wirtschaftlich noch politisch.

Abzuwarten bleibt nun, ob die Empfehlung der EU-Kommission, den türkischen Wunsch nicht zu erfüllen, so auch im Dezember von den Staats- und Regierungschefs der Union abgesegnet wird. Fest steht: Die jetzige Entscheidung wird die EU-Befürworter bei den türkischen Parlamentswahlen im November schwächen. Ein schlechtes Vorzeichen nicht zuletzt auch für weitere Verhandlungen in der Zypern-Frage.

Erneut hat sich jetzt gezeigt: Im Dialog mit der Türkei mangelt es den Europäern an Ehrlichkeit. Denn trotz aller gegenteiligen Beteuerungen ist es kein Geheimnis, dass viele das Land lieber draußen lassen möchten. Die gängigen Argumente lauten: Die Türkei sei zu groß, kulturell eher fremd - und liege geographisch nur zu einem kleinen Teil in Europa. Das alles ist richtig. Dennoch hätte ein türkischer EU-Beitritt für die Union auch Vorteile vor allem strategischer Art.

Gegen die Türkei ist eine effiziente europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Nahost und auf dem Balkan gar nicht möglich. Zudem besitzt das Land eine wichtige Schlüsselfunktion, wenn es um wirtschaftliches Engagement im Kaukasus und dem ölreichen Zentralasien geht. Vor allem aber gibt es keinen triftigen Grund, die EU als einen Club christlicher Länder zu definieren. Denn die gemeinsamen Werte der Europäer liegen nicht in der Religion begründet.

Ein EU-Beitritt der Türkei liegt nach wie vor zwar in weiter Ferne. Alle wirtschaftlichen und politischen Bedingungen dafür müssen zuerst erfüllt werden. Aber die Option sollte aufrecht erhalten und von den Europäern auch stärker ermutigt werden.