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Klassikerverdichtung

18. Dezember 2009

In nur acht Bildern erzählen 100 Künstler je einen Klassiker der Weltliteratur nach. Aufsehenerregend, skurril und manchmal unverständlich spielen sie mit der Allgemeinbildung der Leser.

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Cover 100 Meisterwerke der Weltliteratur als Comic (Foto: Ehapa Comic Collection)
Macht neugierigBild: Ehapa Comic Collection

Kennen Sie Literatur? Also, was ist das: Ein Playmobil-Männchen bekommt von einem General einen überaus verwirrenden Plan vorgelegt, der sich irgendwie um Jesus, Luther und Laotse dreht. Dann ist Krieg, und das Lego-Männlein tanzt in die Nacht.

Nun?

Es handelt sich um eine Comicadaption von Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften". Extrem eingedampft: mehr als zweitausend Seiten umfasst das Werk im Original, gerade einmal acht Bilder hat der von dem Hamburger Grafiker Calle Claus gestaltete Comic. Kein einziges gesprochenes Wort fällt.

Und sagte kein einziges Wort

Enthalten ist die Klassikerverdichtung in dem Buch "100 Meisterwerke der Weltliteratur" (Ehapa Comic Collection, 9,95 €), die ähnlich radikal auch Shakespeare und Dürrenmatt, Edgar Wallace und Truman Capote minimiert. Keine Angst vor Genregrenzen: Harry Potter steht hier neben Sherlock Holmes und die Bibel neben "Betty Blue".

Alle Comics folgen demselben formalen Muster. Jeweils acht Bilder standen zur Verfügung, Dialoge wurden - bis auf eine Ausnahme - nicht verwendet. So viele Meisterwerke, so viele Zeichner: Exakt 100 Künstler haben die Bücher umgesetzt. Eine internationale Verbindung - neben Grafikern aus dem deutschen Sprachraum, setzten auch solche aus Japan und Belgien ihre Vorstellung von Literatur um. Ausgewählt wurden die Teilnehmer von den Herausgebern Titus Ackermann, Jonas Greulich und Thomas Gronle im Schrotschuß-Verfahren. "Wir haben die uns bekannten Leute angeschrieben, zusammen mit einer Vorschlagsliste von 150 Büchern, aus denen ausgewählt werden konnte", erläutert Ackermann das Prozedere.

Eine adäquate Umsetzung der Werke war nicht das Ziel. "Wir spielen mit dem Erinnerungsvermögen des Lesers", umreißt Ackermann das Konzept. "Welche Bücher kennt er und was weiß er von ihnen? Die Comics in unserem Buch ähneln einer Taschenlampe, die man auf ein Gemälde richtet. Manchmal erkennt man etwas vom Bild, manchmal nicht. Und manchmal sieht man nur den Rahmen."

Bis zur Unkenntlichkeit und darüber hinaus

Portrait Calle Claus (Foto: Ehapa Comic Collection)
Calle Claus - einer der 100 KünstlerBild: Egmont Ehapa Verlag

Jedem Künstler war völlig frei gestellt, wie er sich dem Werk annähert. "Der Mann ohne Eigenschaften" von Calle Claus zählt noch zu den einfacher zu entschlüsselnden. "Ich fand es cool, in einem so kurzen Comic den längsten Roman der Welt zu verdichten", begründet er seine Auswahl. Bei der Adaption ging Claus, der auch Germanistik studiert hat, rein assoziativ vor. "Ich habe Szenen genommen, an die ich mich sofort erinnert habe", schildert der Zeichner. Das Playmobil-Männchen stünde dabei exemplarisch für die titelgebende Eigenschaftslosigkeit von Musils Romanfigur. Ob denn jemand, der das Buch nicht gelesen hat, es am Comic erkennen könne? "Nö", ist sich Claus sicher.

Dabei spielen die Künstler hier und da auch mit dem kollektiven Literaturgedächntis Streiche. Der von dem japanischen Zeichner Hiwa gestaltete "2001"-Einseiter etwa, bezieht sich sichtlich mehr auf Kubricks gleichnamigen Film als auf den parallel zu den Dreharbeiten verfassten Roman von Arthur C. Clarke mit seinen deutlichen inhaltlichen Unterschieden. Ebenso greift der Berliner Tim Dinter mit "Angst und Schrecken in Las Vegas" eher die Bildinhalte von Terry Gilliams Verfilmung auf, als die Inhalte von Hunter S. Thompsons zugrundeliegender Gonzo-Reportage.

Einzelne Klassiker wurden dagegen bewusst in die Moderne versetzt. Michael Meier erzählt George Orwells "1984" als Youtube-Filmchen mit Statusbalken. Meier hat Erfahrungen mit Adaptionen. Für seine Umsetzung von Oskar Panizzas Kurzgeschichte "Die Menschenfabrik" erhielt er auf der Frankfurter Buchmesse 2009 den Preis als vielversprechendster junger Comic-Künstler.

Natürlich hat das assoziative Prinzip auch seine Grenzen. Die Bibel-Adaption von Akinori Oishi erzählt zwei neutestamentarische Episoden - vermutlich. Zu erkennen ist es lediglich am eingestreuten Fischsymbol der jungen Religion, ansonsten handelt sein Comic von Käfern.

Einige Comics und ein kleines Ratespiel finden Sie in der Galerie.

Autor: Stefan Pannor

Redaktion: Sabine Oelze