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Interview: So sicher sind Arzneimitteltests

Fabian Schmidt21. Januar 2016

Der Biochemiker und Direktor des Paul-Ehrlich-Institus erklärt im Interview, welche Hürden Unternehmen und Prüfinstitute zu bewältigen haben, bevor sie ein Medikament erstmals an einem Menschen testen dürfen.

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Wissenschaftlerin am Mikroskop (Foto: Fotolia).
Bevor ein Medikament am Menschen geprüft werden darf, müssen umfangreiche Labor- und Tierstudien erfolgenBild: WavebreakmediaMicro/Fotolia

Deutsche Welle: Ohne klinische Medikamentenprüfungen kommt die Forschung nicht aus. In Frankreich endeten solche Tests nun jedoch tödlich für einen Patienten. Wie groß ist das Risiko, dass bei solchen Prüfungen etwas schief läuft?

Klaus Cichutek: Das ist wirklich sehr gering - aber eben nicht auszuschließen. In Deutschland haben wir bisher keine vergleichbaren Fälle.

Wie "sicher" ist denn die Erprobung von einem neuen Arzneimittel am Patienten wirklich, wenn sie als sicher gilt?

Solch einer klinischen Prüfung muss im Voraus immer von unabhängigen Stellen zugestimmt werden: Eine Ethikkommission muss eine Beurteilung vornehmen, und die zuständige Bundesoberbehörde in Deutschland muss die klinische Prüfung genehmigen. Je nachdem, um welche Arzneimittel es sich handelt, ist entweder das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder das Paul-Ehrlich-Institut, Bundesinstitut für Impfstoffe und Biomedizinische Arzneimittel, zuständig.

Prof. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (Foto: PEI).
Klaus Cichutek sagt, die Forschung tut alles Erdenkliche, um Risiken für Probanden zu minimierenBild: PEI

Es wird sehr genau geschaut, was es für mögliche Risiken gibt, wie diesen Risiken begegnet werden kann und ob überhaupt ein potenzieller Nutzen von dem Arzneimittel erwartet wird.

Wie machen Sie das beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI)?

Im Vorfeld müssen die Unternehmen oder Forscher uns eine große Anzahl von Daten zur Qualität der Arzneimittel und ihrer Sicherheit sowie der Wirkungsweise vorweisen.

Dazu gehören zum Beispiel auch nicht-klinische Prüfungen. Das setzt in der Regel auch die Anwendung am Tier voraus - manchmal auch an Affen, die von ihrem physiologischen System her nah am Menschen sind.

So versucht man einerseits Wirksamkeitshinweise zu bekommen, andererseits aber auch Informationen zu gewinnen, welche möglichen Risiken bei der Erstanwendung eines Arzneimittels bestehen.

Unsere Genehmigung beruht auf der Beurteilung dieser Daten und der Abwägung von Risiken gegenüber einem möglichen Nutzen. Dabei gehen wir wissenschaftlich vor. Deshalb ist die Gefahr, dass tatsächlich etwas schiefgeht, sehr gering.

Nach der offiziellen Genehmigung geht das Arzneimittel dann in die klinische Prüfung mit Probanden oder Patienten.

Was ist der wichtigste Schritt, um schon vor der Prüfung am Menschen Sicherheit zu gewährleisten?

Das kommt wirklich auf das einzelne Arzneimittel an. Zum Beispiel kann man bei Antikörpern in einem Zellversuch testen, wie diese Antikörper auf das Zielmolekül wirken und ob sie auf andere Zellen wirken - was man vielleicht nicht will. Dann gibt es Möglichkeiten zu prüfen, ob in Zellen die gewünschten Signalwege angeschaltet und die gewollten Effekte ausgelöst werden.

Wenn man so ein Ergebnis in-vitro, also im Labormodell hat, wird man schauen, ob man das auch in-vivo - an einem geeigneten Tiermodell - nachstellen kann.

Und dann geht es an die Anwendung am Menschen…

Genau. Aber bei der Genehmigung der ersten klinischen Prüfung ganz neuer Arzneimittel wird darauf geachtet, dass Probanden bzw. Patienten erst mit nur sehr geringen Dosen des entsprechenden Arzneimittels behandelt werden.

Bei absehbaren Risiken wird [bei Antikörpern] zunächst meist ein einzelner Patient behandelt. Dann wird eine Zeit abgewartet, ob eine Nebenwirkung auftritt - und erst dann wird der nächste Patient behandelt.

Die infrage kommenden Probanden bzw. Patienten werden vorher über die Risiken aufgeklärt, und sie müssen völlig unabhängig über ihre Teilnahme entscheiden können. Auch jeder Prüfarzt muss eine entsprechende Fortbildung nachweisen.

Und wenn es mal ernst wird - sorgt man für einen solchen Fall vor?

Man sieht natürlich vor, dass am klinischen Prüfort alles da ist, um Nebenwirkungen durch eine Behandlung zu begegnen. Es müssen beispielsweise geeignete Immunsuppressiva zur Begrenzung überschießender Immunreaktionen - was vorgekommen ist - vorhanden sein und die Möglichkeit der intensivmedizinischen Betreuung.

Und trotzdem können alle Vorsichtsmaßnahmen - wenn man an die Geschehnisse in Frankreich denkt - vergeblich sein. Was dann?

Solche Ausnahmen sind tragisch. Entsprechende klinische Prüfungen werden sofort gestoppt. Aber wenn so etwas passiert, versuchen wir im Nachhinein natürlich zu klären, warum ein bestimmter Zwischenfall passieren konnte.

Beispielsweise bei der klinischen Prüfung eines Antikörpers 2006 in England, wo Patienten sehr schwere Nebenwirkungen erlitten haben, haben wir am PEI nachher daran geforscht, warum bestimmte nicht-klinische Tests die Auslösung dieser spezifischen Nebenwirkungen nicht erfasst haben. Heute wissen wir warum.

Wir müssen aus den sehr, sehr seltenen Negativbeispielen lernen und versuchen, die Anforderungen stetig zu verbessern und Testsysteme weiter zu entwickeln.

Professor Klaus Cichutek ist Biochemiker und lehrt an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main. Seit 2009 ist er Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI).

Das Interview führte Fabian Schmidt.