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Klaus Vorwerk: Die Religion der Diebe

Udo Marquardt1. April 2011

Vordergründig hat Klaus Vorwerk einen Entwicklungsroman geschrieben: Junger Mann zieht in die Welt hinaus, um erwachsen zu werden. Tatsächlich handelt das Buch aber von den Theorien hinter unserer Wirtschaftsordnung.

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Davides Vater ist ein mächtiger Politiker, der keine Zeit hat, sich selbst um die Erziehung seines Sohnes zu kümmern. Aber natürlich möchte er, dass aus dem Jungen etwas wird. Deshalb schickt er ihn nach dem Abitur zu dem renommierten Wirtschaftsberater Heinrich Herbst. Der soll Davide in das Reich des Geldes einführen.

Buchcover Klaus Vorwerk: Die Religion der Diebe

Die tiefe Kluft zwischen Theorie und Praxis

Herbst drückt Davide zunächst John Lockes "Two Treatises of Government" (Zwei Abhandlungen über die Regierung, 1689) in die Hand. Darin entwickelt Locke eine Theorie des Eigentums, die im Kern zunächst besagt, dass niemand mehr besitzen darf, als er zum Leben braucht. Aber bald stößt Davide auch darauf, dass Locke mit dieser Theorie keinesfalls den Besitz von großen Geldmengen verteufelt. Damit ist der ursprüngliche Gedanke, dass niemand mehr besitzen soll, als er zum Leben braucht, praktisch hinfällig.

Davide liest einen Klassiker der Wirtschaftstheorie nach dem anderen: John Law, Adam Smith und John Keynes. Und er merkt bald, dass zwar die Wirtschaft sich gern auf diese Theorien beruft, die meisten Theoretiker aber in der Praxis kaum mit Geld umgehen konnten. So hat John Law bei dem Versuch, seine geldpolitischen Ideen in Frankreich umzusetzen, eine internationale Finanzkatastrophe heraufbeschworen.

Herbst schickt Davide auch in die verschiedensten Bereiche unseres Wirtschaftslebens. Der junge Mann besucht u. a. ein Unternehmen der Pharmaindustrie, eine große Bank, das Kartellamt und das Arbeitsamt sowie ein Institut für Wirtschaftsforschung.

Glauben statt Wissen

Allmählich erkennt Davide, dass weite Bereiche der Wirtschaft mehr von einer quasi-religiösen Stimmung geprägt werden, als von harten wissenschaftlichen Fakten. Es geht nicht darum, die Wirklichkeit zu beschreiben, wie sie ist. Vielmehr stellt man Glaubenssätze auf, an die sich die Wirklichkeit anzupassen hat. Das System rechtfertigt es scheinbar, dass die einen immer reicher werden, während die anderen oft kaum genug zum Überleben haben. Wenn wenige viele ausrauben wollen, ohne dass die Menge sich wehrt, bedarf es einer Art von Religion. Solange niemand genauer hinsieht und das Geld in die richtigen Taschen fließt, funktioniert diese "Religion der Diebe" wunderbar.

Symbolbild Aufschwung
Bild: Bilderbox

Fast nebenbei verliebt Davide sich auch noch. Am Ende seiner Entwicklungsgeschichte ist der junge Mann in der Lage, sich ohne fremde Hilfe mit wirtschaftstheoretischen Texten zu befassen. Und erkennt, dass es im Leben wichtigere Dinge gibt als Geld. Das ist im Grunde banal. Aber der Entwicklungsroman, den der Jurist und Betriebswirt Klaus Vorwerk geschrieben hat, ist in Wirklichkeit ebenso wenig ein Entwicklungsroman, wie es in der Wirtschaft um das Wohl aller geht. Es ist eine schonungslose Abrechnung mit unserem Wirtschaftssystem. Getarnt als Erzählung der Lehrjahre eines jungen Mannes. Vorwerk verkauft einem fast unter der Hand einen Grundkurs in Ökonomie. Unterhaltsam, kritisch und höchst lesenswert. "Die Religion der Diebe" ist ein Buch, das Lust auf den Wirtschaftsteil der Zeitung macht.


Klaus Vorwerk
Die Religion der Diebe
Ullstein 2011
ISBN 9783862800032
EUR 19,90