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Kleine Geschichten vom Glück

Leona Frommelt21. August 2003

Tausende Kilometer südlich von Buenos Aires reisen drei Menschen auf den staubigen Straßen Patagoniens. Jeder ist für sich allein unterwegs, keiner weit vom anderen. Im Laufe ihrer Reise aber kreuzen sich ihre Wege.

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Poetisches Porträt einer RegionBild: presse

Sie leben am Ende der Welt. Für die Menschen in der einsamen Weite Patagoniens ticken die Uhren anders. Man muss schon genau hinschauen, um sie zu entdecken, die kleinen Geschichten. Erlebnisse und Schicksale, die in ihrer scheinbaren Bedeutungslosigkeit dennoch universellen Charakter haben. Auf drei Schicksale wirft der Film "Historias Minimas" von Carlos Sorin einen Blick.

Episodischer Roadmovie

Filmszene Historias Minimas Regisseur Carlos Sorin (Argentinien)
Bild: presse

Der altersschwache, blinde Don Justo, ehemaliger Besitzer eines Gemischtwarenladens, ist auf der Suche nach seinem Hund. Das Tier verschwand just in dem Moment, als der Alte nach einem Unfall Fahrerflucht beging. Jetzt ist Don Justo per Anhalter unterwegs nach San Julian, einem kleinen Provinzstädtchen. Dort glaubt irgendjemand seinen Hund gesehen zu haben.

Der Handlungsreisende Roberto ist auf der selben Straße in seinem alten Auto unterwegs. Trotz der allgegenwärtigen Krise hat er sich seinen, aus einem Marketinghandbuch erworbenen, Optimismus bewahrt. Diesmal hat Roberto keine Schlankheitsmittel sondern eine empfindliche Fracht im Gepäck: Eine Cremetorte in Form eines Fußballs. Damit will er das Herz einer hübschen Witwe gewinnen, deren Sohn Geburtstag hat.

Zur selben Zeit ist auch Maria Flores mit ihrem Baby unterwegs nach San Julian. Sie fiebert aufgeregt ihrem Preis entgegen, den sie bei einer Quizshow eines lokalen Fernsehsenders gewonnen hat. Dabei weiß sie weder, was ein Multiprozessor eigentlich ist, noch wie er in einem Haushalt ohne Strom eigentlich funktionieren soll.

Die Träume einfacher Menschen

Es ist das vordergründig Unspektakuläre, das scheinbar Beiläufige, dass diese Geschichten "kleiner Leute" auszeichnet. Carlos Sorin versteht es, trotz bewusstem Verzicht auf explizite Sozialkritik ein ungemein präzises und doch ambivalentes Bild von Lebensrealitäten im heutigen Argentinien zu zeichnen. Er habe die Essenz und Kraft der Wahrhaftigkeit eines Dokumentarfilms in "Historias Minimas" einfließen lassen wollen, umschreibt Sorin sein ambitioniertes Unterfangen.

Wenn der Regisseur seine drei Protagonisten auf ihrer Suche nach dem Glück beobachtet, wird sofort seine Hingabe für einfache Figuren spürbar. Bestechend wirken vor allem die Details, die die unspektakuläre Inszenierung so authentisch machen und zugleich für verhaltene Komik sorgen. Etwa wenn Maria den gewonnenen Multiprozessor gegen ein Schminkset eintauscht. Die meisten Rollen werden von Laien aus Patagonien verkörpert, die meist mühelos mit den wenigen professionellen Schauspielern mithalten. Die stärkste Leinwandpräsenz entwickelt allerdings der achtzigjährige Antonio Benedictis (Don Justo). Mit seiner Schlitzohrigkeit erinnert er an den Helden aus David Lynchs Roadmovie "Straight Story", in dem ein Greis seine vermutlich letzte lange Reise mit einem Rasenmäher antritt.

Fantastische Kritiken

Historias Minimas Regisseur Carlos Sorin (Argentinien)
Regisseur Carlos SorinBild: presse

Vor zwölf Jahren hat der argentinische Filmemacher schon einmal einen Roadmovie im Süden Argentiniens gedreht. "Eversmile New Jersey" mit Daniel Day-Lewis als Zahnarzt, der zu seinen Patienten mit dem Motorrad fuhr. Nach dem kommerziellen Misserfolg des Films verdiente Sorin seinen Lebensunterhalt in der Werbefilmbranche. Mit seiner melancholischen Komödie "Historias Minimas" ist ihm jetzt ein Comeback als Spielfilmregisseur gelungen. Der Film wurde auf zahlreichen Festivals mit Preisen ausgzeichnet. In San Sebastian erhielt er den Spezialpreis. Wim Wenders kommentierte als Juryvorsitzender: "Man bat uns zu erklären, warum ausgerechnet "Historias Minimas" den Preis bekommen hat, und ich kann nur sagen: er hat uns alle begeistert."

Die "Minimalgeschichten" sind durchzogen von menschlicher Wärme und einem wunderbaren Humor. Eine Kombination, die bewirkt, dass man als Zuschauer lächelnd das Kino verlässt. Durchaus ein Erfolg für einen Film, der schon im Titel seine Bescheidenheit Kund tut.