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"Klimawandel kann Fortschritte zunichte machen"

21. Juli 2017

Der Klimawandel gefährdet Asien und Ozeanien ganz besonders. Doch für das ganze Bild muss man auch Europa und Deutschland in den Blick nehmen. Ein Gespräch mit Kira Vinke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

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Philippinen Taifun Koppu
Bild: Getty Images/AFP/J. Directo

Ein aktueller Bericht der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) bewertet die Folgen des Klimawandels für die Region Asien-Pazifik. Das Ergebnis: Asien muss mit verheerenden Folgen durch den Klimawandel rechnen. Die ADB hat 2016 3,7 Milliarden US-Dollar in die Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen investiert. Bis 2020 sollen es sechs Milliarden werden.

Deutsche Welle: Warum ist die Region Asien-Pazifik besonders stark vom Klimawandel und seinen Folgen betroffen?

Kira Vinke: Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen ist es so, dass es in Asien besonders gefährdete geographische Regionen gibt. Zum Beispiel die großen Flussdeltas oder der Himalaja, aus dem sich das Süßwasser für über eine Milliarde Menschen speist. Zum anderen gibt es in Asien sehr große arme Population, die in Risikogebieten leben.

Nehmen wir das Beispiel Bangladesch. Am Golf von Bengalen finden wir ein sehr flaches Flussdelta, auf das immer wieder tropische Stürme treffen. Hier kommen viele Faktoren zusammen: Durch den Meeresspiegelanstieg versalzen die Böden. Sturmfluten haben verheerendere Auswirkungen als früher. Die Überflutungszone ist heute viel größer. Die Menschen haben keine Erfahrungen, wie sie sich gegen besonders starke Stürme oder Überflutungen schützen können. Die Gefährdungsgebiete sind dicht besiedelt.

Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, Kira Vinke
Kira Vinke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung Bild: Potsdam Institut für Klimafolgenforschung/Kira Vinke

Welche Szenarien haben Sie in dem aktuellen Bericht mit der ADB durchgespielt?

Wir haben in dem Report vorrangig zwei Szenarien gegenübergestellt. Zum einen ein Szenario, dass sich am Paris-Klimaschutzabkommen orientiert, also dem darin vereinbarten Ziel, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen.

Alternativ dazu haben wir ein anderes Szenario betrachtet, bei dem alles so weiter läuft wie bisher. Global landen wir dann bei etwa vier Grad am Ende des 21. Jahrhunderts. Für die asiatische Landmasse würde das jedoch im Mittel eine Temperaturerhöhung von sechs Grad bedeuten.

An die Klimafolgen, die mit einer solchen Erwärmung einhergehen, werden sich die Menschen nicht anpassen können. Denken Sie etwa an Delhi. Dort habe ich lange gelebt. Sechs Grad im Mittel bedeutet, dass es auch schon mal acht Grad und mehr werden können. Bei Temperaturen von heute schon bis zu 45  Grad ist es dann kaum noch möglich, sich ungeschützt draußen aufzuhalten. Betroffen sind davon in der Regel die Armen, also Menschen, die in den Slums leben und sich keine Klimaanlage leisten können, oder Menschen, die im Freien, beispielsweise auf Baustellen, arbeiten.

Was bedeutet das für die Fortschritte, die in den letzten Jahren in Asien erzielt wurden?

Tatsächlich gab es in Asien und im pazifischen Raum große Erfolge in der Armutsbekämpfung und bei der Katastrophenvorsorge. Der Klimawandel und daraus folgende extreme Klimaereignisse könnten diese Fortschritte aber zunichte machen.

Um ein paar Eckdaten zu nennen: Die Niederschlagsmenge würde bei einem ungebremsten Klimawandel in den meisten Ländern der Region um bis zu 50 Prozent zunehmen, während sie in Ländern wie Pakistan und Afghanistan um 20 bis 50 Prozent abnehmen könnte. Die Erträge der Reisproduktion können in einigen Ländern Südostasiens bis zum Jahr 2100 um die Hälfte zurückgehen.

Extremereignisse wie etwa Taifun Haiyan werden dann wohl häufiger. (2013 tötete der Taifun auf den Philippinen mehr als 6000 Menschen, Anm.d.Red.) Das war eine humanitäre Katastrophe, die auch erhebliche wirtschaftliche Schäden nach sich gezogen hatte. Darauf müssen sich die Regierungen vermehrt einstellen. Das bedeutet, wir müssen an beiden Fronten kämpfen: gegen die Armut und gegen den Klimawandel. Das eine geht ohne das andere nicht.

Welche Möglichkeiten haben denn die verschiedenen Länder in der Region, um etwas gegen die Folgen des Klimawandels zu unternehmen?

Das lässt sich natürlich nicht pauschal für alle Länder sagen. Aber es ist schon so, dass Asien inzwischen einen großen Teil der globalen Emissionen selbst produziert, wobei die Güter, die dabei hergestellt werden, zum großen Teil im Westen konsumiert werden. Die asiatischen Staaten sind durchaus bereit, ein Teil der Verantwortung zu übernehmen. Das sieht man daran, dass Staaten wie China und Indien weiterhin hinter ihren Klimaschutzzielen stehen.

Das Bewusstsein für den Klimawandel ist in Asien demnach vorhanden. Aber wie sieht es denn mit konkreten Maßnahmen aus?

Auch das ist regional sehr unterschiedlich. Es gibt natürlich Vorreiter wie zum Beispiel die Region Palawan in den Philippinen, die sich dazu entschieden hat, komplett auf erneuerbare Energien umzustellen oder Großstädte wie Seoul oder Tokio, die ein sehr effizientes öffentliches Transportsystem betreiben. Asien hat das Innovationspotential, um weitere Experimentierräume für eine nachhaltigere Wirtschaftsform als unsere zu schaffen. Viele gegenteilige Beispiele für die Nichteinhaltung von Umwelt- oder Klimaschutzsstandards gibt es leider ebenso, wie die Verschmutzung des Ganges in Indien. Da gibt es zwar Regularien, aber bisher wenig Erfolg bei der Umsetzung, wodurch die Lebensgrundlage vieler Menschen bedroht ist.

Bei den Emissionen gibt es vor allem deswegen Widerstände, weil es ökonomische Interessen berührt. Ein Beispiel: Es ist ziemlich klar, dass wir nicht weiter mit Zement und Stahl bauen können. Die Herstellung von Zement und Stahl produziert nämlich extrem viele Emissionen. Wenn wir das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens ernst nehmen, würden wir dann schon durch den Bau mit Zement und Stahl einen Großteil des Budgets an Kohlendioxid aufbrauchen. Die Städte der Zukunft - und die werden ja gerade in Asien gebaut - können wir nicht mehr so bauen wie bisher. Wir müssten eigentlich mit Holz bauen oder etwa mit Kohlenstofffasern.

Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, Kira Vinke
Kira Vinke bei Interviews in BangladeschBild: Potsdam Institut für Klimafolgenforschung/Kira Vinke

Aber wie haben Sie das Thema denn in Asien bei den Menschen vor Ort erlebt?

Für meine eigene Forschung war ich in Bangladesch. Ich habe mit Menschen gesprochen, die aufgrund von extremen Stürmen migrieren mussten, weil ihr Land zerstört oder überflutet oder versalzen war. Sie sind vom Land in die Stadt gewandert. Diese Menschen habe ich in den Slums besucht und lange Interviews mit ihnen geführt. Bei allen Interviews habe ich immer die Frage gestellt: Verändert sich die Umwelt? Die Antwort lautete ausnahmslos: Ja!

Das deckt sich auch mit unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es wird heißer. Der Regen wird unregelmäßiger. Auf lange Trockenphasen folgt dann sehr starker Niederschlag usw.

Und dann habe ich immer gefragt: Woran liegt das? Dann lautete die Antwort entweder "Gottes Wille" oder "Ich weiß es nicht". Das hat mich überrascht, obwohl ich nicht hätte überrascht sein sollen. Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, waren zum großen Teil Analphabeten ohne Schulbildung. Natürlich wissen diese Menschen oft nicht, was Klimawandel ist. Aber genau darin liegt eine Gefahr. Die Menschen wissen nicht, dass die nächste Sturmflut doppelt so stark sein kann. Wie sollen sie sich dann darauf einstellen? Wie sollen sie unter diesen Voraussetzungen ihre eigene Zukunft gestalten?

Was können die Länder dagegen tun?

Hier kommen meiner Ansicht nach die Industrienationen ins Spiel, die historisch sehr viel mehr Emissionen produziert hatten als die unterentwickelten Länder wie zum Beispiel Bangladesch. Wir haben gegenüber diesen Ländern eine Verantwortung. Wir können den Menschen etwa durch Technologietransfer helfen.

Im Falle Bangladeschs besteht heute eine doppelte Ungerechtigkeit. Die Menschen produzieren unter widrigen Bedingungen Produkte für den Westmarkt, ohne an der Wertschöpfung angemessen beteiligt zu werden. Umgekehrt macht der Westen erhebliche Profite mit dem Ausstoß gewaltiger Emissionen, die dann wiederum die Menschen in Bangladesch am härtesten treffen.

Zugespitzt könnte man sagen, die Menschen in Asien zahlen unsere Emissionsrechnung. Wenn man sieht, wie die Menschen dort leiden und manchmal gar nicht wissen, warum ihre Kinder in den Fluten sterben, versteht man, dass die Lösung des Klimaproblems eine dringende Frage der globalen Gerechtigkeit ist.

Kira Vinke ist wissenschaftliche Referentin des Direktors am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Sie hat Internationale Beziehungen in Berlin mit Studienaufenthalten in Honolulu, Tokio und Madrid studiert. Sie promoviert jetzt zum Thema "Klimawandel und Migration" an der Humboldt Universität in Berlin.

Das Interview führte Rodion Ebbighausen.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia