1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Soziale Folgen des Klimawandels

Mirjam Gehrke11. März 2013

Zerstörte Häuser und Brücken lassen sich meist wieder aufbauen. Der Verlust von überliefertem Wissen und sozialen Strukturen als Folge von Umweltschäden ist häufig unumkehrbar.

https://p.dw.com/p/17vA0
Eine somalische Flüchtlingsfrau mit Lebensmitteln aus einer Hilfslieferung im Flüchtlingslager Dadaab (Foto: Oli Scarff/Getty)
Bild: Getty Images

Dürren und Überschwemmungen, Hitzewellen und Wirbelstürme – extreme Wetterereignisse haben in den vergangenen Jahrzehnten an Häufigkeit und Intensität zugenommen. Seit Anfang der 1980er Jahre hat sich ihre Zahl allein in den USA fast verfünffacht.

"Die letzten drei Jahre waren in den USA die teuersten, was wetterbedingte Versicherungsschäden anbelangt, die wir jemals gesehen haben", resümiert Koko Warner von der Universität der Vereinten Nationen (UNU) in Bonn. Allein im ersten Halbjahr 2012 verursachten Hurrikans und Gewitterstürme in den USA Schäden in Höhe von 8,8 Milliarden US-Dollar, belegt eine Studie des weltgrößten Rückversicherers Munich Re.

Die Sonne geht hinter dem Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe unter. 34 Mrd. Tonnen CO2 gelangten 2011 in die Atmosphäre (Foto: A. Franke)
Rekord: 34 Mrd. Tonnen CO2 gelangten 2011 in die AtmosphäreBild: picture-alliance/Andreas Frank

Die Statistiken der Versicherungsunternehmen zeichnen jedoch nur ein unvollständiges Bild der Folgen des Klimawandels. Denn der kulturelle und soziale Schaden, der durch die Zerstörung und den Verlust von Lebensraum angerichtet wird, lässt sich nicht beziffern. Und dieser Verlust trifft vor allem jene, die den Klimawandel nicht verursacht haben: die Insel-Staaten im Südpazifik und in der Karibik, Entwicklungsländer in Subsahara-Afrika und in Lateinamerika.

Klimawandel zerstört soziale Strukturen

In einer internationalen Vergleichsstudie hat das Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit (EHS) der UN-Universität in Bonn in neun Ländern in Afrika, Asien, dem Südpazifik und Lateinamerika untersucht, wie Menschen auf den Klimawandel reagieren – und vor allem, was passiert, wenn eine Anpassung an den Klimawandel und seine Folgen nicht mehr möglich ist. Koko Warner von der UNU-EHS schildert im DW-Interview, wie Bauern in Bangladesch die Versalzung der Böden in der Küstenregion mit dem Ausbringen von Zucker auf die Felder bekämpfen wollten – ein auswegloses Unterfangen.

Wenn die Existenzgrundlage der Kleinbauern vor Ort vernichtet wird, dann geht in der Regel der Vater fort, um in der Stadt Geld zu verdienen. Koko Warner schildert den für viele Entwicklungsländer "typischen Ablauf" so: "Die Mutter bleibt zurück. Sie versorgt die Kinder und die Großeltern und bestellt die Felder. Die Mutter isst weniger, damit die Kinder mehr zu essen haben. Die Kinder verlassen die Schule und müssen arbeiten." Eine Anpassungsstrategie, die kurzfristig Abhilfe schaffen mag, aber langfristig zum Scheitern verurteilt ist – und letztendlich zur Abwanderung führt. Dadurch werden soziale Netzwerke, familiäre und dörfliche Strukturen auseinandergerissen.

Welche Länder sind vom Klimawandel besonders gefährdet? (DW-Grafik: Olof Pock)

Verlust kultureller Identität

Der Verlust von Land geht Hand in Hand mit dem Verlust von kultureller Identität, hat der US-Anthropologe Anthony Oliver-Smith bei zahlreichen Forschungsprojekten in Lateinamerika beobachtet: "Für Indigene und andere Naturvölker ist die Umwelt die Grundlage ihrer Identität, ihrer Religion, ihres Weltbildes. Wenn diese Völker durch plötzliche Umweltkatastrophen oder auch schleichende Umweltveränderungen vertrieben oder entwurzelt werden, hat das weitreichende Auswirkungen auf das kulturelle und soziale Leben."

Das Wissen um den geeigneten Zeitpunkt zur Aussaat von bestimmten Feldfrüchten wird nutzlos, wenn die Abfolge von Regen- und Trockenperioden aus den Fugen gerät. Das Wissen um Techniken zum Bootsbau wird wertlos, wenn der Fischfang als wirtschaftliche Grundlage wegbricht – sei es durch die Überfischung durch die großen Flotten der Industrienationen oder durch die Übersäuerung der Meere, die immer größere Mengen an CO2 aufnehmen. Und der weltweite Ausstoß von Kohlendioxid steigt weiterhin an: 2011 lag er bei dem Rekordwert von 34 Milliarden Tonnen. Spitzenreiter sind China (8,9 Mrd. Tonnen), die USA (6 Mrd.) und Indien (1,8 Mrd.), gefolgt von Russland und Japan.

Nach heftigen Monsun-Regenfällen bahnen sich in der Nähe von Madhurganj in Indien Einwohner ihren Weg durch überflutete Straßen(Foto: dpa)
Klimaflüchtlinge: Verlust von Land, Kultur und sozialen StrukturenBild: picture-alliance/ dpa

Anpassung wird unmöglich

Und Anpassungsstrategien werden umso schwieriger, so Rachel Allen, Beraterin für Klimafragen der Regierung von Jamaika, im DW-Interview: "Einzelne Fischer können sich anpassen, indem sie neue Fangmethoden anwenden. Aber auf die Übersäuerung der Meere haben wir keinen Einfluss. Wir können nicht unsere gesamte Fischindustrie anpassen."

Der Tourismus, der von Entwicklungspolitikern gerne als Mittel zu Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und damit zur Armutsbekämpfung gepriesen wird, ist dabei gleichermaßen Mitverursacher und Opfer des Klimawandels. Das steigende Flugaufkommen erhöht den Ausstoß von Kohlendioxid schneller, als er in der Industrie beispielsweise eingespart werden kann. Eine unmittelbare Folge der durch Treibhausgase ausgelösten globale Erwärmung ist das Korallensterben, so Rachel Allen: "Eine um ein Grad erhöhte Wassertemperatur reicht aus, um die Korallenbleiche auszulösen. Innerhalb eines Monats lässt sich beobachten, wie ein Riff vollkommen ausbleicht. Welcher Tourist wird da noch hundert Dollar für einen Tauchgang ausgeben, wenn er nur ein totes Riff zu sehen bekommt?"

Vielleicht aber schließt sich durch den Tourismus auch der Kreis, und die Verursacher des Klimawandels sehen sich mit den Folgen konfrontiert. Noch aber, so Anthony Oliver-Smith, "sind wir im Westen sehr zögerlich, wenn es darum geht, uns mit der Schuldfrage realistisch auseinanderzusetzen."