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"Meine Haltung gegenüber Russen ist positiv"

Zhanna Nemzowa (mo)17. November 2015

Der wiedergewählte Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, im DW-Interview über sein Verhältnis zu Russland, warum er in die Politik gegangen ist und warum ihm die ukrainische Hauptstadt am Herzen liegt.

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Portrait von Vitali Klitschko (Foto: picture alliance/ZUMA Press/S. Glovny)
Bild: picture alliance/ZUMA Press/S. Glovny

In der Stichwahl um das Bürgermeisteramt in Kiew hat Vitali Klitschko am vergangenen Wochenende mit 66,5 Prozent der Stimmen einen deutlichen Sieg errungen. Der ehemalige Profiboxer lebte einst in Deutschland, kehrte aber in die Ukraine zurück, um sich dort politisch zu betätigen. 2013 war Klitschko einer der Anführer der proeuropäischen Maidan-Bewegung und wurde 2014 erstmals zum Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew gewählt. Dieses Jahr fusionierte seine Partei "UDAR" mit "Solidarität", der Partei von Präsident Petro Poroschenko.

Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko im Gespräch mit Zhanna Nemzowa (Foto: DW)
Vitali Klitschko im Gespräch mit Zhanna NemzowaBild: DW

Deutsche Welle: Herr Klitschko, wann waren Sie zuletzt in Russland?

Vitali Klitschko: Das letzte Mal war ich im Jahr 2012 in Russland, zu einem Boxkampf meines Bruders gegen Alexander Powetkin.

Warum fahren Sie seitdem nicht mehr dorthin?

Es besteht weder eine Gelegenheit, noch eine Notwendigkeit. Obwohl ich in Russland Verwandte und Freunde habe.

Verspüren Sie persönlich eine Abneigung gegen Russen wegen der Politik des Kremls gegenüber der Ukraine? Laut Umfragen unterstützt die Mehrheit der russischen Bürger den Kreml…

Die Stimmung der Russen kann ich nicht spüren, da ich nicht die Gelegenheit habe, Russland zu besuchen. Ich spreche mit meinen Freunden, die in Russland leben und russisches Fernsehen schauen. Ich kann nur Bedauern äußern. Bedauern, weil die Menschen getäuscht werden. Sie leben in einem Informations-Vakuum. Die russischen Medien haben, was die Propaganda angeht, die Sowjetunion übertroffen.

Aber in Moskau besteht auch Zugang zu alternativen Informationsquellen. Dennoch wirkt sich das nicht auf die öffentliche Meinung aus. Russlands Vorgehen gegenüber der Ukraine wird in Moskau und in den Regionen etwa gleich stark unterstützt.

Gegenüber Russen habe ich eine positive Haltung. Aber die Außenpolitik der russischen Führung missbillige ich. Mehr noch, das Vorgehen gegen die Ukraine und andere Länder bewerte ich als äußerst negativ. Dies ist aus meiner Sicht "back to USSR". Ich wuchs in der Familie eines Offiziers und Kommunisten auf, der entsprechende Ansichten unserer Familie aufdrängte. Ein Kommunist war ich nicht, aber ich war stolz auf mein Land, auf die Kommunistische Partei, auf die Ideologie. Von ihrer Richtigkeit war ich völlig überzeugt. Meine Verwunderung war groß, als ich zu Beginn der Perestroika in den Westen kam. Auf meine begeisterten Erzählungen über den Westen sagte mein Vater, es gebe dort speziell für Touristen gebaute Städte. Ich sehe, was heute in Russland geschieht, und das erinnert mich an die Zeit des Kalten Krieges, als man einen äußeren Feind brauchte, als die Haltung gegenüber dem Westen voreingenommen war.

Gibt es nicht einen Unterschied zwischen Russen und Ukrainern? In Russland verneigte man sich immer vor dem Staat und wünschte sich eine starke Führung. In der Ukraine gab es das nicht. Ist das nicht ein ideologischer Konflikt?

Die Propagandamaschine in Russland ist sehr effektiv. In sie werden Milliarden von Dollar gesteckt. Doch wenn man mit Menschen spricht, dann ändert sich deren Haltung. Ich gehöre zur Führung des Landes. Ich war nie ein Radikaler. Ich kann doch von vornherein keine Abneigung gegen Russen haben. Ich bin selbst zur Hälfte Russe. Meine Mutter stammt aus Nowosibirsk und ist Russin. Dieser Konflikt ist wie eine Seifenblase. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie zerplatzt.

Vitali Klitschko mit seiner Ehefrau Natalia und seinem Bruder Vladimir bei der Stimmabgabe in Kiew (Foto: picture-alliance/dpa/R. Pilipey)
Vitali Klitschko (r.) mit seiner Ehefrau Natalia und seinem Bruder Vladimir bei der Stimmabgabe in KiewBild: picture-alliance/dpa/R. Pilipey

Seit mehr als einem Jahr sind Sie Bürgermeister der Stadt Kiew. Was sind Ihre größten Erfolge?

Vor einem Jahr habe ich die Stadt in einem schrecklichen Zustand übernommen. Ich weiß, dass alle Reformen und Veränderungen des Landes in der Hauptstadt beginnen. Deshalb habe ich mich dieser schwierigen Region angenommen, wohlwissend, dass von ihr das weitere Schicksal der Ukraine abhängt. Ich kann sagen, dass wir trotz der Tatsache, dass das Bruttoinlandsprodukt um zehn Prozent zurückgegangen ist, die Einnahmen zum Haushalt der Stadt um 30 Prozent steigern konnten.

Mit Steuererhöhungen?

Nein. Wir haben Korruption ausgemerzt. Geld, das in Taschen verschwand, fließt heute in den Haushalt. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir bieten keine Gelegenheit zum Diebstahl. Korruption fürchtet Transparenz. Wir haben den städtischen Haushalt und den Dokumentenumlauf offengelegt. Alle Einnahmen und Ausgaben sind heute transparent. Jeder Aktivist und jeder Journalist kann Einsicht nehmen. Transparenz, Verantwortlichkeit und Offenheit sind die stärksten Argumente gegen Korruption.

Ist die Bekämpfung der Korruption Ihre größte Errungenschaft?

Es ist noch zu früh, die Bekämpfung der Korruption als Errungenschaft zu bezeichnen. Wir stehen noch am Anfang des Weges. Ich war in vielen Städten der Welt. Ich liebe Kiew. Das ist ein Touristen-Mekka, ein Kultur-, Finanz- und Industriezentrum. Wir müssen das Potenzial, das unsere Stadt bietet, in vollem Umfang ausschöpfen.

Ist das Amt des Bürgermeisters die Grenze Ihrer politischen Ambitionen. Oder reichen die weiter?

Viele Leute sagen, sie hätten mich in das Bürgermeisteramt gehievt. Eigentlich brauche ich den Posten des Bürgermeisters nicht. In meinem Leben ist alles gut. Ich kann in jedem Land und in jeder Stadt der Welt leben. Als Bürgermeister von Kiew laufe ich nicht einem Status hinterher, und mein Ziel ist es nicht, Geld zu verdienen. Ich habe im Sport genug verdient. Aber ich will zu Hause leben. Es gibt ein gutes Sprichwort: "Möchtest Du es gut machen, mache es selbst". Deshalb bin ich heute hier Bürgermeister.

Beziehen sie als Bürgermeister ein Gehalt?

Ich beziehe kein Gehalt. In den anderthalb Jahren habe ich keine Kopeke bekommen. Ich arbeite ehrenamtlich. Mein Gehalt würde umgerechnet 300 Dollar betragen. In die ukrainische Politik bin ich gegangen, nicht um Geld zu verdienen. Schon als ich Parlamentsabgeordneter war, überwies ich meine gesamten Bezüge einem Kinderheim. Jetzt arbeite ich als Freiwilliger. Das mache ich aufrichtig von ganzem Herzen.

Vitali Klitschko ist ehemaliger ukrainischer Profiboxer, war in den Jahren 1999, 2004 und 2008 Weltmeister im Schwergewicht, gründete die Partei UDAR und wurde im Mai 2014 erstmals zum Bürgermeister in Kiew gewählt. Seit 2015 sitzt er als Vorsitzender der Partei Block Petro Poroschenko im Parlament.

Das Gespräch führte Zhanna Nemzowa, Kiew