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Kluger Zug

18. September 2009

Mit der Entscheidung, die Pläne für ein Raketenschutzschild für Europa zu stoppen, hat die US-Regierung eine außenpolitische Kehrtwende vollzogen, bei der es zunächst nur Gewinner gibt, meint Christina Bergmann.

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Christina Bergmann (Foto: DW)
Christina Bergmann

Die Entscheidung von US-Präsident Barack Obama kommt nicht überraschend. Schon vor Monaten hatte ein amerikanisch-russisches Expertenteam festgestellt, dass der geplante Raketenschutzschild mit einer Raketenbasis in Polen und einer Radarstation in Tschechien Unsinn ist. Zu teuer, zu langwierig im Aufbau und obendrein noch wirkungslos gegen iranische Langstreckenraketen, lautete der ernüchternde Bericht. So war es nur folgerichtig, dass Obama jetzt die Notbremse zog. Denn Gründe hat er viele.

Da sind zunächst die beiden offiziellen Argumente, die Obamas Verteidigungsminister Robert Gates vorbrachte. Gates, der bereits unter Präsident Geoge W. Bush Verteidigungsminister war, hatte das alte System unterstützt. Gates musste nun eine Kehrtwende machen. Dabei berief er sich zum einen auf Fortschritte in der Raketentechnik, die andere und bessere Alternativen böten als das noch vor drei Jahren von ihm favorisierte Modell. Und darauf, dass die Sicherheitsexperten die Bedrohung aus dem Iran inzwischen eher durch Kurz- und Mittelstreckenraketen denn durch Langstreckenraketen sähen. Beides mag in der Entscheidungsfindung eine Rolle gespielt haben, aber es ist offensichtlich, dass die verteidigungspolitische Kehrtwende noch andere Vorteile bringt.

Der Nutzen von Obamas Entscheidung

Da sind zum einen die Kosten. Der stationäre Schutzschild ist teuer. Der Kongress hatte erst im Juni den Etat für den globalen Schild zusammengestrichen, von dem die europäische Variante einen Teil darstellen sollte. Auch für Raketensilos auf amerikanischem Boden gab es weniger Geld. Kein Wunder also, dass Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, angesichts der neuesten Nachrichten aus dem Weißen Haus strahlte. Ihr war der Schild schon lange ein Dorn im Auge. Angesichts der innenpolitischen Querelen um die Gesundheitsreform, bei der es auch um Geld geht, kann es Obama nicht schaden, auch mal gute Stimmung in der eigenen Partei zu verbreiten. Zumal er für den Krieg in Afghanistan jeden Dollar braucht.

Zum anderen kommt Obama mit der Entscheidung nicht nur den Verbündeten in der NATO entgegen, die sich bei den Verteidigungsplänen außen vor gelassen fühlten, sondern vor allem auch Russland. Moskau hatte den Schild stets als Bedrohung der eigenen Souveränität und des eigenen Territoriums betrachtet, allen gegenteiligen Versicherungen der Amerikaner zum Trotz. Das Risiko, dass sich die russischen Hardliner nun durch das Umschwenken der Amerikaner in ihrer harten Haltung gegenüber den USA bestätigt fühlen, musste Obama in Kauf nehmen. Die positive Reaktion des russischen Präsidenten Medwedew zeigt, dass die Geste zumindest bei ihm angekommen ist. Ob Obamas Rechnung aufgeht, kann sich auch nächste Woche zeigen, wenn es bei der UNO in New York um den Atomstreit mit dem Iran, Nordkorea und die globale Abrüstung geht. Zudem gehen die Verhandlungen für den zum Jahresende auslaufenden Vertrag zur Reduzierung strategischer Waffen in die entscheidende Phase. Dass die Nachricht vom Umschwenken der US-Regierung ausgerechnet jetzt verbreitet wurde, ist insofern sicher kein Zufall.

Die Gegner der Entscheidung

Den Republikanern im Kongress gefällt dieser Richtungswechsel natürlich gar nicht. Sie sehen darin einen Kniefall vor Russland. Doch im Moment geben eben nicht sie die Richtung an, sondern die Demokraten. Und die haben jetzt den vielbeschworenen Neuanfang mit Russland mit konsequentem Handeln untermauert und der Rhetorik des Kalten Krieges eine Absage erteilt. Es ist gut, dass der Präsident diesmal voll und ganz auf den überparteilichen Kompromiss verzichtet hat, an den er sonst so gerne wie erfolglos appelliert.

Auch Polen und Tschechen müssen sich nicht als Verlierer der us-amerikanischen Kehrtwende fühlen. Die USA wollen die Pläne für eine Raketenabwehr ja nicht vollständig aufgeben. Das Konzept ist lediglich flexibler. Nach wie vor ist zum Beispiel für Polen die Stationierung von Patriot-Flugabwehrraketen geplant. Und sowohl mit der polnischen als auch mit der tschechischen Regierung, erklärte US-Verteidigungsminister Gates, sei das neue Konzept besprochen worden.

Die Abkehr der USA von dem umstrittenen Raketenschutzschild heißt nicht, dass das Prinzip der Raketenabwehr aufgegeben wird. Aber die Mittel ändern sich. Dadurch entsteht vor allem eins: Bewegung an vielen Verhandlungstischen. Und das ist im Vergleich zu den vergangenen Jahren schon eine ganze Menge.

Kommentar: Christina Bergmann

Redaktion: Martin Schrader