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Knicks und Knigge

Ralf Lehnert17. Oktober 2002

"Benimm ist etwas, das kaum bemerkt wird, wenn man es hat, das aber sofort auffällt, wenn man es nicht hat", stellte die Schauspielerin Käthe Haack lakonisch fest. Und was ist das: Benimm?

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Welchen Wein aus welchem Glas?Bild: Das Fotoarchiv

Man fragt nicht "Hä?", sondern "Wie bitte?". Man grapscht nicht quer über den Tisch, sondern fragt "Könntest du mir bitte das Salz reichen?". Und wenn jemand etwas von einem wissen will, dann antwortet man laut und deutlich und nuschelt nicht in seinen Bart. Da kennt Sybil Gräfin Schönfeldt kein Pardon. Die Dame, einer der bekanntesten Anstandswauwaus der Deutschen, kann ganz schön bissig sein, wenn Mitmenschen die gute Kinderstube vermissen lassen.

Nein, eine Benimm-Fibel sei ihr "Einmaleins des guten Tons" beileibe nicht, sondern ein Protokoll, das festhalte, was heutzutage als "gute Umgangsformen" gilt, erklärt die Autorin in der Einleitung. Auch bei Ariane Sommer, Partygirl und Diplomatentochter, lesen wir in ihrer "Benimm-Bibel": "Dieses Buch ist kein Kompendium der Etikette." Stattdessen geht es den Autorinnen darum, "einige wenige Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens zu vermitteln." Die Menschen sollen einfach anständig miteinander umgehen.

Damit bewegen sich Schönfeldt, Sommer und Co. in der Tradition ihres großen Vorbilds Adolph Freiherr von Knigge. Der 1752 in Bredenbeck bei Hannover geborene Autor ist der Urheber von Maximen wie: "Interessiere Dich für andere, wenn Du willst, das andere sich für Dich interessieren." Sein bekanntestes Buch "Über den Umgang mit Menschen" hat - entgegen allgemeiner Annahme - mit formvollendetem Verhalten nichts zu tun. Es ist eine moralische Lebensanleitung für das Bürgertum, gedacht als Grundlage zur Emanzipation von fürstlich-aristokratischer Bevormundung. Dass "der Knigge" heute als Synomym für gute Manieren herhalten muss, hat er nie gewollt.

Auch den heutigen Verfechterinnen des guten Benehmens geht es nach eigenem Bekunden um höhere Werte. Respekt, Rücksichtnahme und Redlichkeit sind die ebenso alten wie neuen Gebote. Und wenn Ariane Sommer Herrn Knigges "Respektiere dich selbst, wenn du willst, dass andre Dich respektieren" zitiert, dann passt das ja auch besser zum Zeitgeist als das Einstudieren eines Handkusses: Bleib einfach so, wie du bist. Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht. Soll es ja auch nicht. Wozu gäbe es sonst Benimm-Ratgeber zu kaufen.

Die Autorinnen wissen, was sie ihren Lesern schuldig sind und halten denn auch allen Beteuerungen zum Trotze mit guten Ratschlägen nicht hinterm Berg. Ein anständiger Mensch kann nämlich anscheinend nur werden, wer die entsprechenden Regeln kennt. Und es schadet sicher nicht, immer mal wieder daran erinnert zu werden. Wir notieren: Gähnen nicht mit offenem Mund. Schnäuzen nur ins Taschentuch. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.

Womit klar wird, dass die Benimm-Ratgeber langfristig die Welt verbessern helfen: Wenn immer weniger Menschen in der Nase bohren, jeder beim Husten die Hand vor den Mund nimmt und auch gestresste Manager endlich im Theater ihr Mobiltelefon ausschalten, dann wird es für alle erträglicher. Ebenso, wenn Gräfin Schönfeldts Rat auch bei taktlosen Journalisten Gehör findet. "Man redet nicht gescheit über Dinge, von denen man nicht allzuviel versteht." Ende der Diskussion.