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Der verkannte Adolph Freiherr Knigge

30. April 2010

Er war ein Menschenkenner und ein Anhänger der Französischen Revolution, von adeliger Herkunft, aber bitterarm. Und er wurde lange missverstanden - als Ratgeber in Alltags- und Benimmfragen. Doch damit ist nun Schluss.

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Adolph Freiherr Knigge: Silhouette (Das Bild wurde honorarfrei vom Wallstein Verlag zur Verfügung gestellt)

Seinem Hauptwerk hat man übel mitgespielt. "Über den Umgang mit Menschen" von Adolph Freiherr Knigge wurde nach dessen Tod nämlich nach Belieben und Zeitgeschmack dreist gekürzt und zu einem Benimmbuch umgeschrieben. Bis heute nennt man es einfach nur "den Knigge" und ordnet ihm willkürlich zu, was immer gesellschaftlich angesagt ist oder sein sollte. Pünktlichkeit ist demnach eine Zier, das Anklopfen vor Betreten eines Arbeitszimmers ein Muss, und Frauen erhalten getreu der Regel "Ladys first" immer noch den Vortritt, auch wenn manche Herren eben den der emanzipierten Weiblichkeit gar nicht mehr zumuten möchten.

Glück im Unglück

Von Adolph Freiherr Knigge gäbe es heute freilich kaum eine Biographie, wenn sein Bestseller ihn nicht überlebt hätte. Das jedenfalls behauptet die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff in ihrem geistreichen Essay, der eine soeben erschienene vierbändige Werkausgabe Knigges nun einleitet. Die Lewitscharoff irrt mit ihrer Einschätzung sicher nicht. Denn wer der am 16. Oktober 1752 auf dem Gut Bredenbeck bei Hannover geborene Freiherr tatsächlich war, hat augenscheinlich nur wenige umtriebige Literaturwissenschaftler interessiert. Dabei gilt es einen höchst amüsanten und fabulierlustigen Autor zu entdecken, der es verstand, Sittenfragen zuzuspitzen, Reiseabenteuer auf absurdeste Pfade zu lenken, in Utopien zu schwelgen und aufs Delikateste die herrschenden Umstände seiner Zeit anzuprangern.

Aufgeklärter Adeliger

Ölgemälde mit goldenem Rahmen : Adolph Freiherr von Knigge im Porträt. (AP Photo/Joerg Sarbach)
Verkannter RevolutionärBild: AP

Knigge war zwar adeliger Herkunft, aber bettelarm. Denn das Gut, das sein Vater ihm hinterlassen hatte, war überschuldet und kam schließlich unter Fremdverwaltung. Also musste der junge Mann sich seinen Lebensunterhalt verdienen, und das gedachte er als freier Schriftsteller zu tun. Ein mutiges, weil in jenen Jahren recht aussichtsloses Unterfangen, an dem Knigge aber unbeirrt zeitlebens festhielt.

Etwa 12.000 Seiten umfasst eine längst vergriffene frühere Werkausgabe, auf runde 1700 Seiten kommt die nun von renommierten Knigge-Kennern im Wallstein Verlag herausgegebene Auswahl. Die acht Werke, die sie versammelt, geben - so der Mitherausgeber und Literaturwissenschaftler Paul Raabe - "einen verlässlichen Einblick in das Schaffen eines deutschen Aufklärers und Schriftstellers und stehen stellvertretend für sein Gesamtwerk. Sie sind alle, teils in späteren Auflagen, zwischen 1790 und 1796 erschienen und ergeben so ein abgerundetes Bild aus den Jahren nach der Französischen Revolution". Damit sei die Ausgabe ein literarisches und politisches Dokument der Spätaufklärung des ausgehenden 18. Jahrhunderts, einer kurzen Zeitspanne, die lange zu Unrecht im Schatten der Weimarer Klassik gestanden habe.

Kluge Auswahl

Buchcover Adoph Freiherr Knigge: Werke (Wallstein Verlag)

Tatsächlich bietet die vorgelegte Auswahl die Möglichkeit, Knigge als politischen Schriftsteller kennenzulernen, der mit großem Mut seine republikanische Gesinnung vertrat und dafür durchaus üble Schmähungen hinnehmen musste. Die Französische Revolution hatte ihn zu einem Bürger gemacht, der sein "von" ablegte und sich sodann als "freier Herr" Adolph Freiherr Knigge nannte. Aber das höfische Leben seiner Zeit, das er mit all seinen Intrigen und Affairen, Lustbarkeiten und Langweilereien kennengelernt hatte, wurde zu seinem Fundus. Gleich mehrere Romane sind Abrechnungen mit dem höfischen Leben und bitterböse Kritiken an den Zuständen der spätabsolutistischen Höfe. Knigge hat von utopischen Staatswesen und Revolutionen geschrieben, hat sich in politischen Traktaten als unverbesserlich optimistischer Aufklärer positioniert und zur Freiheit bekannt.

Über den Umgang mit Menschen

Teilnehmer eines Benimm-Kurses üben den stilgerechten Umgang mit Schalentieren.
Kein Benimm-Papst: der missverstandene KniggeBild: dpa

Und auch Knigges Hauptwerk aus dem Jahre 1788 wird man in dieser Ausgabe finden: "Über den Umgang mit Menschen", so dessen später gern verfälschter Titel. Ein Buch in drei Teilen und mit vielen Unterpunkten, in dem der Autor der geneigten Leserschaft seine Vorstellungen vom Miteinander vermittelt. Die Vorstellungen, so Paul Raabe, "eines früh gereiften, erfahrenen Mannes, der alle Lebenslagen, Versuchungen und Enttäuschungen kannte und den Umgang mit Menschen aller Klassen einzuschätzen wusste und daraus seine Schlüsse zog".

Manche seiner Lebensregeln nannte er bereits im Inhaltsverzeichnis: "Sei, was du bist, immer und ganz" beispielsweise, "Rühme nicht zu laut dein Glück" oder "Gib anderen Gelegenheit zu glänzen". Die dazugehörigen Auslassungen zeugen dann von Weisheit und abgeklärter Lebenserfahrung. Auf Ungewohntes und Fremdes, so Knigges Rat, möge man gelassen reagieren und sich im Umgang miteinander nicht auf starre Konventionen verlassen, sondern vielmehr auf Höflichkeit und Einfühlungsvermögen. Knigge, das zeigt sich auch hier, war durch und durch ein Kind des Aufklärungszeitalters. Den Aufbau eines Netzwerks von Gleichgesinnten überall in Deutschland hat sein früher Tod am 5. Mai 1796 indes vereitelt.

Autorin: Silke Bartlick
Redaktion: Aya Bach

Adolph Freiherr Knigge, Werke
Mit einem Essay von Sibylle Lewitscharoff
Herausgegeben von Pierre-André Bois, Wolfgang Fenner, Günter Jung, Paul Raabe, Michael Rüppel und Christine Schrader.
Wallstein Verlag, 4 Bände, € 49,00