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Koalitionspoker vor der Entscheidung

Richard Fuchs / Marcel Fürstenau (mit Agenturen)26. November 2013

Die Uhr tickt: Union und Sozialdemokraten kommen zur Schlussrunde der Koalitionsverhandlungen zusammen. Vieles spricht dafür, dass sie verlängert werden könnten. Denn noch sind nicht alle strittigen Fragen geklärt.

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Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer und die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommen am 26.11.2013 in Berlin ins Willy-Brandt-Haus zu den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD (Foto: Maurizio Gambarini/dpa pixel)
Bild: picture-alliance/dpa

Letzte Runde im Koalitionspoker

Wenn Union und Sozialdemokraten am heutigen Dienstag in der SPD-Parteizentrale im Willy-Brandt-Haus zusammenkommen, dann sollte das eigentlich der Beginn einer Schlussrunde sein. Ein über vierwöchiger Verhandlungsmarathon liegt hinter den beteiligten Parteien. Am darauffolgenden Tag wollen – so der Plan - die drei Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) vor die Presse treten, um nach zähem Ringen den Abschluss der Verhandlungen zu verkünden. In ihren Händen soll dann ein Koalitionsvertrag liegen, der die Grundlage für eine schwarz-rote Regierungskoalition der nächsten vier Jahr bildet.

Ob das jedoch genau so geschieht, das ist wenige Stunden vor dem geplanten Abschluss der Verhandlungen fraglicher denn je. Bis zuletzt, genauer gesagt bis zum frühen Dienstagmorgen, rangen die Verhandlungsführer um Kompromisse; konkrete Ergebnisse verkündeten sie den wartenden Journalisten nicht. Schweigsam verließen die Beteiligten nach über zehnstündigen Gesprächen in der Nacht den letzten Verhandlungsort, die CDU-Parteizentrale. Die Knackpunkte heißen weiterhin Mindestlohn, Rente, Staatsbürgerschaftsrecht und PKW-Maut.

Letzte Runde im Koalitionspoker

Eine neue Verhandlungsrunde soll jetzt den Durchbruch schaffen. Zunächst werden die Beratungen um die Mittagszeit in kleiner Runde mit nur 15 Teilnehmern wieder aufgenommen. Es folgen am späten Nachmittag getrennte Vorbesprechungen der Parteien, die zum Abend hin von einer großen Runde mit rund 75 Teilnehmern abgelöst werden. "Es wird eine lange Nacht", sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles zu Beginn des Sitzungsmarathons. Und SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil fügte im Nachrichtensender n-tv hinzu: "Die großen Brocken liegen noch vor uns". Wie diese "Brocken" aussehen, davon konnten sich Journalisten zuletzt selbst überzeugen, denn der über 177 Seiten starke Vertragsentwurf war in einer ersten Fassung an die Medien gelangt. Darin finden sich viele Sätze in eckigen Klammern, die signalisieren, an welchen Stellen zwischen den drei Parteien noch Uneinigkeit herrscht.

Der Teufel steckt beim Mindestlohn im Detail

Zum Thema Mindestlohn finden sich dabei die Begriffe "Startpunkt", "erstmalige Festsetzung" und "Differenzierungsmöglichkeiten" in eckigen Klammern. Hinter diesen Formulierungen verbergen sich drei Fragen: Wann soll der Mindestlohn eingeführt werden? Wie hoch soll er zu Beginn sein? Welche Abweichungen darf es geben? Ginge es nach der SPD, dürfte der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn nicht unter 8,50 Euro liegen, müsste sofort eingeführt werden, und es dürfte keine Ausnahmen geben.

Für die Unionsparteien ist das bislang undenkbar. CSU-Politiker Hartmut Koschyk wiederholte kurz vor Beginn der Verhandlungen, was viele Unionspolitiker umtreibt. Es müsse Ausnahmen beim flächendeckenden Mindestlohn geben, sonst seien Jobs in Gefahr, beispielsweise bei Erntehelfern, sagte Koschyk im Inforadio des RBB. "Jemand, der aus dem Ausland zweitweise in Deutschland arbeitet und dann nach Beendigung der Erntesaison wieder nach Hause geht, den muss man doch anders behandeln können als jemand, der ganzjährig tariflich lohnbeschäftigt ist in Deutschland." Ein klares "Nein" kam als Antwort von der SPD. Ihre Vizevorsitzende Manuela Schwesig schloss am Dienstag solche Ausnahmeregelungen als Verhandlungsergebnis aus. Im Gespräch ist allerdings noch, ob der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde regional gestaffelt eingeführt wird, um gerade in Ostdeutschland mit seinem bisher niedrigeren Lohnniveau keine Arbeitsplätze zu gefährden.

Ungeklärt "wegen strittiger Finanzierung"

Umstritten ist nach wie vor auch die Frage, ob langjährig Rentenversicherte unter bestimmten Voraussetzungen schon mit 63 Jahren ohne Abschläge aus dem Arbeitsleben ausscheiden dürfen. Das wünscht sich die SPD für jene, die mindestens 45 Beitragsjahre vorweisen können. Die Union sperrt sich gegen diese Möglichkeit wegen hoher Kosten.

Ungeklärt ist weiterhin auch, ob sich die SPD mit ihrer Forderung nach einer doppelten Staatsbürgerschaft durchsetzen kann. CDU und CSU wollen das verhindern. Die Türkische Gemeinde in Deutschland hat jetzt den Druck auf die Parteien erhöht. Es dürfe in dieser Frage keinen Kompromiss geben, die Mehrstaatlichkeit müsse "ohne Wenn und Aber" eingeführt werden, sagte der Bundesvorsitzende Kenan Kolat.

Entscheidung mit Gewicht: Die SPD-Basis hat das letzte Wort Foto: Hannibal/dpa
Entscheidung mit Gewicht: Die SPD-Basis hat das letzte WortBild: picture-alliance/dpa

Es droht eine Verlängerung der Verhandlungen

Mindestlohn, Rente und Staatsbürgerschaft: die Liste der offenen Punkte könnte beliebig fortgesetzt werden. Von Seiten der Unionsparteien wurde deshalb eine Verlängerung der Verhandlungen ins Spiel gebracht. Führende Sozialdemokraten lehnen das ab. "Wir können uns keine Verlängerung leisten", sagte die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Manuela Schwesig. Bei den Sozialdemokraten drängt die Zeit besonders, denn nach dem Abschluss der Verhandlungen sollen die rund 473.000 Parteimitglieder zwei Wochen Zeit bekommen, um dem Vertragswerk schriftlich zuzustimmen. Ein Verfahren, das es bei der Regierungsbildung in Deutschland so noch nicht gegeben hat zuvor.

Noch bleiben Union und SPD wenige Stunden, um die Verhandlungen zum Erfolg zu führen. Sollte sich die Runde mit den Parteivorsitzenden, Generalsekretären, Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen und Fachpolitikern nicht einigen, wollen die Chefs unter sich eine Lösung suchen. Wann die letzte Schlussrunde kommt, lässt sich derzeit also noch nicht sagen.