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"Wir können nicht in jedem Dorf sein"

Dirke Köpp6. November 2014

Ernüchterung für die UN-Blauhelme im Ostkongo: Neue Milizen sind auf dem Vormarsch, die Wut in der Bevölkerung wächst. Wie er damit umgeht, erklärt der Leiter der UN-Friedensmission, Martin Kobler, im DW-Interview.

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Martin Kobler (M.) (Foto: Dirke Köpp)
Bild: Dirke Köpp

DW: Herr Kobler, vor genau einem Jahr hat Ihre Blauhelmtruppe MONUSCO gemeinsam mit der kongolesischen Armee die M23-Rebellen besiegt. Die Freude war groß. Jetzt gibt es aber Proteste gegen die MONUSCO: in der Hauptstadt Kinshasa und in der Stadt Beni im Nordosten, an der Grenze zu Uganda. Dort attackieren seit Wochen mutmaßliche ADF-Nalu-Rebellen die Bevölkerung. Wie erklären Sie sich die Wut der Demonstranten?

Martin Kobler: Als ich im August 2013 - vor dem Fall der M23 - das erste Mal in Goma war, habe ich auch Proteste erlebt. Mein Auto wurde mit Steinen beworfen, weil die MONUSCO aus Sicht der Bevölkerung zu lasch oder überhaupt nicht reagierte. Ich kann den Ärger verstehen: UN-Truppen im Land zu haben und sie nicht kämpfen zu sehen. Mit Hilfe der Interventionsbrigade haben wir die M23 vor einem Jahr besiegt. Das politische Problem ist damit noch nicht gelöst, aber militärisch war die M23 im November 2013 am Ende. Danach haben die Proteste aufgehört. So ähnlich erwarte ich das in Beni jetzt auch.

Was ist los in der Region um Beni?

Verschiedene Mai-Mai-Gruppen (Anm. d. Red.: Sammelbezeichnung für verschiedene lokale Milizen im Ostkongo) treiben dort ihr Unwesen, ebenso die anti-ugandische Miliz ADF-Nalu, die islamistische Tendenzen hat. Ich war in den letzten zwei Wochen zweimal in Beni und werde bald noch einmal hinfahren. Der Kommandant unserer Truppe ist dort und andere hochrangige Kollegen der MONUSCO. Es ist wichtig, den Menschen zu erklären, was wir tun, aber auch, was wir nicht tun können: Wir können nicht in jedem Dorf sein - die Demokratische Republik Kongo ist ein riesiges Land mit Dschungel- und Buschgebieten.

Kongolesische Soldaten marschieren auf die Stadt Beni zu (Foto: AFP)
Kongolesische Soldaten marschieren auf die Stadt Beni zu - um dort gegen ADF-Rebellen zu kämpfenBild: Alain Wandimoyi/AFP/Getty Images

Es ist wichtig, ein enges Informationsnetz zu haben, um schnell eingreifen zu können - und zwar gemeinsam mit der kongolesischen Armee. Es gibt sehr viel mehr kongolesische Soldaten im Raum Beni als UN-Blauhelme. Es ist also nicht ganz fair, dass sich die Wut der Bevölkerung allein gegen die MONUSCO richtet. Und es hat keinen Wert zu sagen, die MONUSCO solle aus dem Land verschwinden, denn die Konsequenzen wären absehbar.

Es mehren sich allerdings die Stimmen, die sagen, dass es gar nicht nur ADF-Rebellen sind, die in Beni Massaker verüben. Die ADF habe in der Vergangenheit zum Beispiel ganz andere Waffen genutzt. Welche Gruppen könnten dort denn noch aktiv sein?

Wenn es andere Gruppen sind, werden wir auch diese bekämpfen. Denn alle Massaker sind gleich schlimm. Oft stehen die ausländischen bewaffneten Gruppen wie die anti-ruandische FDLR, die anti-ugandische ADF oder die M23 mehr im Fokus, aber die so genannten Mai-Mai Gruppen, von denen es 40 bis 50 gibt im Ostkongo, müssen genauso entschieden bekämpft werden, und zwar alle.

Experten kritisieren, dass man den militärischen Druck nicht hätte reduzieren dürfen.

Dem kann ich nur zustimmen. Zwar wurde die ADF isoliert, aber es gibt noch einzelne Splittergruppen - und jede einzelne kann Massaker verüben. Damit wollen die Rebellengruppen die Leute abschrecken, mit der Regierung oder der MONUSCO zu kooperieren. Wir müssen also gemeinsam mit der kongolesischen Armee entschieden vorgehen.

Martin Kobler tröstet einen Jungen, der bei einem Angriff von ADF-Rebellen seine Eltern verloren hat (Foto: John Kanyunyu)
Martin Kobler tröstet einen Jungen, der bei einem Angriff von ADF-Rebellen seine Eltern verloren hatBild: John Kanyunyu

Die Beziehungen zur kongolesischen Regierung allerdings sind schwierig: Im Oktober hat die Regierung den Chef des UN-Menschenrechtsbüros, Scott Campbell, zur Persona non grata erklärt…

Davor und danach waren die Beziehungen gut. Wir sind auf die kongolesische Regierung angewiesen. Ich habe ein ausgeprägtes Vertrauensverhältnis zu den Vertretern der Regierung, aber das schließt Meinungsverschiedenheiten nicht aus. Wir haben einen Bericht veröffentlicht über die Operation "Likofi" der kongolesischen Polizei, bei der Leute verschwunden sind und Menschen außerhalb des Justizwesens getötet wurden. Diesen Bericht haben wir nach bestem Wissen und Gewissen veröffentlicht, ihn vorab der Regierung gezeigt und ihre Gegendarstellung mit veröffentlicht.

Das war der Regierung aber nicht recht, und sie hat den Leiter unseres Menschenrechtsbüros, Scott Campbell, des Landes verwiesen. Ich stelle mich nach wie vor voll hinter den Bericht und hinter Scott Campbell und habe die Regierung gebeten, ihre Entscheidung rückgängig zu machen. Das ist bislang noch nicht passiert. Die Signalwirkung an die Menschenrechtsgemeinschaft hier vor Ort, dass unliebsame Berichte dazu führen können, dass man das Land verlassen muss, ist natürlich verheerend.

In Burkina Faso hat das Volk den Präsidenten aus dem Amt gejagt, weil er die Verfassung ändern wollte. Ähnliche Pläne mit der Verfassung hat auch Kongos Präsident Kabila. Muss er auch Proteste wie in Burkina fürchten?

Ich spreche für den Kongo - und da haben wir im Zuge der Diskussionen um die Wahlen ganz klar gesagt, dass die Verfassung, die das Land sich gegeben hat, die vom Parlament verabschiedet wurde, respektiert werden muss.

Das Interview führte Dirke Köpp.

Der deutsche Diplomat Martin Kobler ist seit Juli/August 2013 UN-Sonderbeauftragter für die Demokratische Republik Kongo und Chef der Kongo-Blauhelmtruppe MONUSCO (UN-Stabilisierungsmission im Kongo). Zuvor war Kobler unter anderem UN-Sonderbeauftragter für den Irak und stellvertretender Leiter der UN-Mission in Afghanistan sowie Büroleiter des ehemaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer.