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Koloniale Spurensuche in Leipzig

8. September 2010

Leipzig ist bekannt für Johann Sebastian Bach und Auerbachs Keller, weniger für seine koloniale Vergangenheit. Eine Stadtführung will das ändern und zeigt ehemalige Völkerwiesen und Apartheidschmieden.

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Kafeehaus Riquet in Leipzig (Foto: Adrian Kriesch)
Verzierungen im Kolonialstil schmücken das Kafeehaus RiquetBild: DW

Im Clara-Zetkin-Park sind sie häufiger unterwegs, die 20 jungen Leute, die einem jungen Mann mit Vollbart und ausgelatschten Schuhen folgen. Normalerweise liegen sie hier in der Sonne, grillen oder spielen Fußball. Heute lauschen sie den Worten von Jochen Lingelbach, ihrem studentischen Stadtführer. Die meisten seiner Gäste erfahren von ihm zum ersten Mal, warum es den Park überhaupt gibt. 1897 wurde er angelegt, erklärt Lingelbach, zur Sächsisch-Thüringischen Industrie und Gewerbeausstellung. Hunderttausende Besucher strömten damals nach Leipzig. Besonders beliebt war der Deutsch-Ostafrikanische Teil der Ausstellung. Hier wurden Missionarsstationen und andere koloniale Gebäude nachgebaut und als Höhepunkt präsentierten die Veranstalter 50 trommelnde und tanzende Ostafrikaner.

Das Ziel der Ausstellung beschreibt ein damaliger Prospekt: "Neben die hochentwickelte, moderne europäische Kultur, die eigenartig gestaltete afrikanische, welche die ersten Stufen unseres Kulturlebens erst zu erreichen bestrebt ist, zum Vergleich zu setzen." Für Lingelbach war und ist das typisch: "Man nimmt an, Europa ist ziemlich hoch entwickelt und in Afrika oder in anderen kolonisierten Ländern ist man noch weiter unten. Und man muss denen halt helfen auch mal da hoch zu kommen, wo wir sind."

Die Universität als Apartheidschmiede

Koloniale Stadtführung in Leipzig (Foto: Adrian Kriesch)
Bei einer Stadtführung tauchen Studenten in die koloniale Vergangenheit einBild: DW

Vom Clara-Zetkin-Park ziehen Lingelbach und seine Gruppe weiter in die Stadt. Der 30-jährige Student hat den Rundgang selbst ausgearbeitet. Lingelbach studiert Geographie und Afrikanistik und ärgert sich, dass die deutsche Kolonialvergangenheit kaum aufgearbeitet wurde. So war Leipzig ein bekannter Forschungsort für Völkerkunde, erklärt Lingelbach vor dem heutigen Ethnologieinstitut der Universität. Hier setzten sich Wissenschaftler jahrelang für die deutschen Kolonien ein, später wurde Rassenkunde gelehrt. Henrik Verwoerd studierte hier, einer der Mitbegründer der Apartheidideologie in Südafrika.

Die Gruppe zieht weiter durch die Innenstadt und bleibt vor dem alten Traditionscafe "Riquet" stehen. Das Haus wurde vor hundert Jahren im exotischen Kolonialstil gebaut, zwei riesige Elefantenköpfe schmücken den Eingang. Während die Gäste Kuchen und Kaffee genießen, deutet Lingelbach auf eine alte Teekiste mit dem Bild eines kleinen schwarzen Dieners. "Ein klassisches Beispiel für eine Werbung, die in der Zeit immer wieder die koloniale Gesellschaftsordnung reproduziert. Also dass es total normal und natürlich ist, dass die Asiaten und Afrikaner die Diener der Europäer sind." Lingelbach zieht gerne Vergleiche mit der Gegenwart, spricht über den Sarotti-Mohr in der heutigen Werbung.

Afrikaner im Zoo

Jochen Lingelbach organisiert den kolonialen Stadtrundgang (Foto: Adrian Kriesch)
Jochen Lingelbach organisiert den kolonialen StadtrundgangBild: DW

Auch beim letzten Thema geht es Lingelbach letztendlich wieder um den Vergleich zwischen heute und gestern. Im Leipziger Zoo fanden Seit 1876 rund 40 Völkerschauen statt. Auf der Völkerwiese, zwischen Bären und Raubtieren, konnten die Leipziger verschiedene Volksgruppen bestaunen. 1990 warb der Zoo mit einer Ausstellung von "Lippennegerinnen". "Das waren Leute vom Stamm der Sara Kaba am Nordrand des Kongobeckens. Dort gibt es die Tradition, sich Tellerscheiben in die Unterlippe zu stecken", sagt Lingelbach und zeigt seinen Gästen das alte Werbeplakat. "Das drastische daran ist, dass sie in einer Reihe hier stehen, in der gleichen Schriftart: 'Lippenneger, Eisbären und Elefantendressur, drollige Schimpansen'." Die jungen Zuhörer der Stadtführung schütteln ungläubig den Kopf. Erst recht als Lingelbach erzählt, das der Zoo die eigene Vergangenheit nicht kritisch aufgearbeitet hat. Er zitiert von der Internetseite des Zoos, der für eine Veranstaltung wirbt: "Spannendes Programm mit afrikanischen Tänzern und Trommlern und ein Buffet im exotischen Ambiente der Kilwara-Savanne. Tickets und weitere Infos im Safari Büro." Lingelbach kann eine solche klischeebepackte Werbung nicht nachvollziehen. "Das ist natürlich nicht das Gleiche wie eine Völkerschau um die Jahrhundertwende, aber das zeigt, wie wenig sich der Zoo seiner Geschichte bewusst ist."

Bewusstsein schaffen: Das ist Lingelbachs Mission. Immerhin, bei den 20 Leipziger Teilnehmern hat es geklappt. Beim Großteil der Deutschen besteht aber weiter Nachholbedarf.

Autor: Adrian Kriesch

Redaktion: Katrin Ogunsade