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Kolumne Berlin 24/7: Berliner Mauer in den Köpfen

Gero Schließ
2. Oktober 2016

Ist die Mauer in den Köpfen endlich weg? Am "Tag der Deutschen Einheit" macht Gero Schließ eine Bestandsaufnahme und stellt fest: Es gibt neue Trennlinien in Berlin, auch in der Kultur.

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Berlin 24/7 Berlin geteilte Stadt
Bild: DW/G. Schließ

"Es gibt viele Berlins", pflegen die Berliner zu sagen. Das klingt als wäre es ein Bekenntnis zur grünen Artenvielfalt. Aber ob sie wollen oder nicht: Die Berliner schreiben mit diesem Satz die bestehenden mentalen und politischen Trennlinien fort. Noch immer sind die Unterschiede zwischen Ost und West präsent.

Berlin 24/7 Berlin geteilte StadtBerlin 24/7 Berlin geteilte Stadt
Bild: DW/G. Schließ

An der Bernauer Straße, wo einst die Mauer die Berliner brutal voneinander trennte, sehe ich eine riesige bemalte Hausfassade: Ein blankes Messer mit den Jahresangaben von Mauerbau und Mauerfall, 1961-1989,  schneidet tief in das rote Fleisch Berlins. Die Zeit der Mauer ist bis heute für viele schmerzhaft und hat sich in die DNA dieser Stadt eingegraben. Für mich als Neu-Berliner ist das Geschichte.

Versäumnisse in der Kulturpolitik

Seit den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18. September spüre ich aber, wie sich andere Gräben auftun. Die rechtspopulistische AfD hat vor allem in den Randbezirken Berlins zweistellig gewonnen. Etwa in Marzahn-Hellersdorf, an der östlichen Peripherie der Stadt. Bei den Berliner Politikern kommt Selbstkritik auf: Die Landespolitik habe sich zu sehr mit den Innenstadt-"Kiezen" befasst, die Außenbezirke dagegen lägen an den Rändern der Aufmerksamkeit.

Auch mich hat es bisher nur einmal nach Marzahn-Hellersdorf verschlagen. Allerdings nicht ganz freiwillig - es war ein dienstlicher Termin. Dort, wo die Plattenbauten der DDR eine späte Renaissance erlebten, inmitten der Stein gewordenen Trostlosigkeit, steht das "Kulturzentrum Kino Kiste".

Protest gegen Vernachlässigung

Deutschland Kulturzentrum "Die Kiste" in Berlin Hellersdorf
Bild: Fred Schöner

Hier arbeitet Fred Schöner als "unbezahlter Geschäftsführer", wie er sarkastisch anmerkt. Er bestätigt: "Die 'Platte' wird immer mehr abgehängt, die Ränder spielen leider keine große Rolle". Sein Kino ist das beste Beispiel dafür. Die städtischen Zuschüsse wurden drastisch gekürzt. Deswegen ist Schöner den ehrenamtlichen Clubmitgliedern sehr dankbar. Ohne ihre tatkräftige Hilfe könnte er das Kino nicht weiterbetreiben.  

Marzahn-Hellersdorf ist eines von vielen Beispielen für die kulturelle Vernachlässigung der Peripherie. Das hat jetzt auch die von Staatssekretär Tim Renner geführte Kulturverwaltung gemerkt. Plötzlich fällt auf, dass 80 Prozent der vom Senat geförderten Kultureinrichtungen in Berlin Mitte und Charlottenburg stehen. Dazu gehören etwa die Deutsche Oper oder die Berliner Philharmonie. Jetzt will man umsteuern.

Was die Kulturverwaltung als "Versäumnis" betrachtet, hat bei vielen ein Gefühl der Vernachlässigung ausgelöst. Mit den bekannten Konsequenzen: "Wer sich vernachlässigt fühlt, der protestiert in irgendeiner Form", sagt mir Fred Schöner. Die Gleichung "wenig Kultur macht viel AfD" ist ihm zu schlicht. Aber er stimmt zu, dass die Versäumnisse der Kulturpolitik ein untrüglicher Gradmesser für poltische Fehler auf der ganzen Linie sind.

Keine "Einheit" in Berlin

08.2016 Kolumne Gero Schließ

Doch ich erlebe, dass die Trennlinien in Berlin nicht nur zwischen Zentrum und Randbezirken, sondern kreuz und quer verlaufen. Auch zwischen Start-Up-Community und der traditionellen Arbeiterschicht, zwischen den aus der ganzen Welt Zugezogenen und den "Urberlinern", zwischen Migranten und  Deutschen und – immer wieder – zwischen Ost und West.

Auch hier ist die Kultur ein Gradmesser. Beispiel Musik: Nicht weit von dort, wo die Berliner Mauer fiel, steht die Philharmonie. Zu den Konzerten strömen viele Menschen aus der ganzen Welt, doch aus Berlin sieht man vor allem die "Wessis". Mehrere 100 Meter östlich, im früheren Ost-Berlin, will der junge Sebastian Nordmann,  Intendant des Konzerthauses, sein Haus für ein jüngeres, gesamtberliner Publikum öffnen.  Doch es dominiert – noch – der alte Abonnentenstamm aus dem Osten.

Bleibt in Berlin also alles wie es ist, nämlich hübsch getrennt? Ich jedenfalls habe mir vorgenommen, am Montag nach Marzahn-Hellersdorf zu fahren. In der "Kiste" läuft dann der Film "Das Geständnis" mit Kriminalfällen aus der späten DDR.