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Kommentar: Übernahmeschlacht mit Happy End

Henrik Böhme26. Juni 2006

Nun hat der Stahlkonzern Arcelor der Fusion mit dem Branchenführer Mittal Steel doch zugestimmt. Ein Mega-Deal – und wirtschaftlich vernünftig. Doch die Fusionswelle kommt erst noch, meint Henrik Böhme.

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Erst bekämpft, dann fusioniert: Arcelor und Mittal SteelBild: AP

Lakshmi Mittal hat Geduld bewiesen. Fünf Monate lang. Dann hatte er die Vorstandsetage des europäischen Stahlriesen Arcelor weichgeklopft. Der märchenhafte Aufstieg des Mannes aus Indien zum größten Stahlbaron der Welt geht weiter.

Natürlich: Es ist das, was die Schlagzeilen sagen - ein Mega-Deal. Ein spannender Wirtschaftskrimi mit allen Zutaten: Als Ende Januar 2006 das erste Angebot auf den Tisch von Arcelor geflattert war, reagierte die Chefetage empört: Mit einem Hersteller von Massenware werde sich ein Qualitätsproduzent nicht einlassen. Eine feindliche Übernahme des in Europa führenden Stahlkonzerns Arcelor werde es nicht geben. Seite an Seite mit französischen und luxemburgischen Politikern wurde auf den Inder Mittal verbal eingedroschen.

"Weißer Ritter" sollte Mittal ausbremsen

Dabei ist Arcelor selbst das Produkt von Übernahmen: Vor fünf Jahren geschmiedet aus den Stahlkochern Aceralia in Spanien, der luxemburgischen Arbed und Usinor aus Frankreich. Und nun kommt ein Inder daher und will dieses schöne europäische Konstrukt zerschlagen!

Rettung suchte man bei Arcelor dann ausgerechnet in Russland. Alexej Mordaschow hatte, wie es sich für einen ordentlichen Oligarchen gehört, das Okay aus dem Kreml - und sollte mit seinem SeverStal-Konzern als so genannter "Weißer Ritter" einspringen und damit vielleicht den Inder ausbremsen.

100-Millionen-Tonnen-Grenze geknackt

Doch diese Rechnung hatte das Arcelor-Management ohne den Wirt gemacht - sprich: Die Aktionäre begehrten auf. Dann doch lieber Mittal, war auf einmal die Parole. Als der indische Self-Made-Man dann sein Angebot noch einmal deutlich aufstockte und weitere Zugeständnisse machte, war die Sache klar. Und sie scheint wirtschaftlich vernünftig: Arcelor ist unangefochten die Nummer eins in Westeuropa, Mittal ist in Nordamerika Marktführer - und durch den Kauf zahlreicher Stahlkocher von Polen bis Kasachstan ebenfalls in Osteuropa.

Mit "Arcelor Mittal" - so der Name des neuen Riesen - entsteht ein Konzern, der erstmals die magische Grenze von 100 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr knackt. Das ist drei Mal so viel wie der bisherige Branchendritte Nippon Steel aus Japan.

Aber: Der Weltmarktanteil von Arcelor-Mittal liegt bei nur 10 Prozent - und die größten Fünf in der Rangliste kommen zusammen gerade mal auf ein Fünftel. Will heißen: Der Konzentrationsprozess in der weltweiten Stahlindustrie steht erst am Anfang. Die Kassen der Konzerne sind prall gefüllt - die extrem hohe Nachfrage vor allem aus China und Indien hat die Preise kräftig steigen lassen.

Feilschen mit Privat-Krieg verwechselt

Bleibt die Frage, wer bei dieser Übernahmeschlacht die Gewinner und Verlierer sind. Sicher hat Lakshmi Mittal nicht alle seine Ziele erreicht. Er wollte Arcelor komplett übernehmen. Nun ist es eine Fusion unter Gleichen geworden, und viel teurer als geplant. Aber er hat in einem Stahlpoker ohne Beispiel Nerven bewiesen. Seine Vision, einen Konzern zu schaffen, der die 100-Millionen-Tonnen-Grenze erreicht, ist wahr geworden.

Auf der anderen Seite steht Arcelor-Chef Guy Dollé. Er wollte Mittal nicht haben, wollte "diese Gesellschaft von Indern" verhindern. Dabei verwechselte er das durchaus richtige Feilschen um bessere Konditionen mit einem Privat-Krieg gegen den Mittal-Clan. Gerade noch rechtzeitig hat er die Kurve gekriegt und sich wieder von wirtschaftlicher Vernunft statt von nationalistischen Gefühlen lenken lassen.

Die Stahlbranche hat einen neuen Krösus. "Arcelor Mittal" ist

Marktführer auf allen Kontinenten - bis auf Asien. Auch dort werden die Manager des neuen Riesen aus Luxemburg wohl bald auf der Matte stehen.