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Kommentar: Aus einer Illusion erwacht

11. Februar 2010

Es ist ein gottloser Gottesstaat geworden: Wie sehr sich die islamische Revolution im Iran nicht nur von ihren Idealen, sondern vor allem von den Menschen entfernt hat, beleuchtet ein Kommentar von Jamsheed Faroughi.

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Der Leiter der Farsi-Redaktion Jamsheed Faroughi (Foto. DW)

Die Islamische Revolution hat in ihrer turbulenten Geschichte zwei ganz unterschiedliche Bilder geprägt, die eigentlich kaum miteinander vereinbar sind.

Das erste Bild zeigt hoffnungsvolle Menschen, die sich für mehr Demokratie, für Bürgerrechte und menschliche Würde stark machen; Menschen, die mutig gegen die Diktatur des Schah gekämpft und große Opfer für seinen Sturz gebracht haben. Glückliche Menschen, die sich nach der Bewältigung einer blutigen Vergangenheit eine bessere Zukunft wünschten: Eine Zukunft jenseits jeglicher Diskriminierung für ein Land, das ein Mosaik von Minderheiten ist.

Themenbild Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

Das zweite Bild zeigt die Gegenwart einer glücklosen Gesellschaft, den Irrweg einer deformierten Revolution: Eine islamische Herrschaft, die für die Sicherung ihrer Macht zu allem bereit ist. Brutale Menschenrechtsverletzungen stehen auf der Tagesordnung des gottlosen Gottesstaates. Mit Drohungen, Verhaftungen und sogar mit Hinrichtungen versuchen die Machthaber in Teheran, die unzufriedene Gesellschaft einzuschüchtern. Sie wollen den gerissenen Faden des Vertrauens mit der blutigen Kette erzwungenen Gehorsams ersetzen.

Was bleibt? Erinnerung an unerfüllte Ziele

Die Geschichte der Islamischen Revolution ist die Geschichte eines Kampfes zwischen Illusion und Wirklichkeit, zwischen damaliger Hoffnung und jetziger Enttäuschung. Enttäuscht lehnen die aus der alten Illusion erwachten Menschen diese ungewollte Wirklichkeit ab. Die Menschen haben aber ihre alten Parolen nicht vergessen - und sie erinnern sich auch noch an ihre unerfüllten Ziele.

So unvereinbar beide Bilder sind, so sehr sind sie doch verbunden: Wenn eine Revolution auf Illussionen aufbaut, ist die Erzeugung des zweiten Bildes nahezu programmiert. Das bekommen nun jene zu spüren, die drei Jahrzehnte lang die islamische Revolution mitgetragen haben: Die Gruppe der religiösen Intellektuellen.

Nun meldet sich eine junge Gesellschaft zu Wort. Es geht längst nicht mehr nur um die umstrittene Präsidentschaftswahl. Es geht um das Aufeinandertreffen von Illusion und Wirklichkeit. Die so genannte "Grüne Bewegung" ist der Kampf der jungen Iraner gegen die Illusion ihrer Väter aus dem ersten Bild und zugleich der Kampf gegen die perspektivlose Wirklichkeit des zweiten Bildes.

Revolutionen, sagt man, fressen ihre Kinder. Die Islamische Revolution aber präsentiert sich als unersättlich: Sie frisst nicht allein ihre Kinder, sondern auch gleich ihre Väter dazu. Die Gefängnisse sind überfüllt mit Menschen, die vor einunddreißig Jahren der islamischen Revolution mit Rat und Tat zur Seite standen. An Ihrem 31. Jahrestag ist jene Illusion komplett erloschen. Nun hat der Countdown für die Umwälzung der unerträglichen Wirklichkeit begonnen.

Autor: Jamsheed Faroughi
Redaktion: Martin Muno