1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Petersburger Dialog

Cornelia Rabitz10. Oktober 2006

Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen die Pressefreiheit müssen von deutscher Seite schon deshalb immer wieder hartnäckig thematisiert werden, weil dies auch im Interesse der künftigen Entwicklung Russlands ist.

https://p.dw.com/p/9EVN

Schatten über dem diesjährigen Petersburger Dialog: Am Tag, an dem in Moskau die ermordete Journalistin Anna Politikowskaja zu Grabe getragen wurde, standen die Diskussionen bei dem deutsch-russischen Expertenforum ganz im Zeichen der innenpolitischen Verfassung Russlands. Der Mord an der kritischen und unabhängigen Journalistin, aber auch das rücksichtslose Vorgehen gegen georgische Bürger in Moskau - all dies wirft bohrende Fragen auf. Es sind Fragen jenseits der großen Geschäfte, die sich ein kraftstrotzender, an Energieressourcen reicher Staat unter der Führung eines überaus selbstbewussten Präsidenten in Deutschland und Europa erhofft.

Fragen nach Grundwerten, nach dem Umgang mit Kritik und einer unabhängigen Presse. Dass diese Fragen beim Petersburger Dialog in Dresden wenigstens gestellt wurden, dass offen und auch kontrovers diskutiert wurde, zeichnet die Veranstaltung aus - die im übrigen auch in diesem Jahr wieder die Vielfalt der deutsch-russischen Beziehungen widerspiegelte.

Auch die deutsche Bundeskanzlerin konnte sich bei ihrem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin den heiklen Themen nicht entziehen: Angela Merkel forderte sehr nachdrücklich die Aufklärung und Untersuchung des Mordes an der Journalistin. Mehr konnte und wollte sie wohl öffentlich nicht tun. Wladimir Putin sagte dies zu. Dass er gleichzeitig versuchte, die Bedeutung Anna Politkowskajas zu schmälern, indem er sie als unbedeutende Person mit wenig Einfluss auf die russische Gesellschaft bezeichnete, zeigt freilich eine besondere Art von zynischer Verachtung.

Sicher, Putin einen "Mörder" zu nennen, wie das einige Demonstranten in Dresden taten, ist übertrieben und ungerechtfertigt. Und dennoch: Durch seine Politik hat er erst das Klima der Einschüchterung und Angst geschaffen, von dem deutsche wie russische Journalisten immer wieder berichten. Es ist ein Klima der Verachtung von Werten wie Freiheit, Unabhängigkeit der Presse, Pluralismus der Meinungen - ein Klima, in dem Andersdenkende zu Opfern werden.

Auch wenn die Wirtschaftszusammenarbeit zwischen Deutschen und Russen mittlerweile hervorragend ist - die Pressefreiheit ist und
bleibt ein Gradmesser für den Stand der Demokratisierung in Russland. Das Medienthema ist freilich auch das Thema, an dem sich der Streit zwischen der russischen und der deutschen Seite immer wieder entzündet.

Die kritische westliche Presse wird von maßgeblichen Repräsentanten des Kreml immer wieder als einseitig diffamiert. Auch beim Petersburger Dialog rechnete die russische Delegation mit den deutschen Medien ab, sprach von Kampagnenjournalismus und Propaganda und verbat sich Kritik.

Festzuhalten bleibt dennoch: Es gibt ein Russland jenseits von Putins Machtapparat - auch wenn der Kreml alles daransetzt, diejenigen auszugrenzen, zu diskriminieren und zu schikanieren, die sich für Menschen- und Grundrechte einsetzen. Dieses Russland braucht auch in einem Land wie Deutschland weiter eine Stimme, es verdient mindestens genauso viel Unterstützung wie die großen deutschen Unternehmen, die in Russland Geschäfte machen wollen.

Wie gering auf deutscher Seite die Sensibilität oft noch ist, zeigt der beschämende Vorgang, dass der russische Staatsmonopolist Gasprom
im offenkundigen Bemühen, sein im Westen angeschlagenes Image aufzuputzen, nun Hauptsponsor des deutschen Erstliga-Fußballclubs Schalke 04 wird. Künftig prangt das Logo des Konzerns, der in ganz erheblichem Maße mit verantwortlich ist für die Einschränkungen der
Pressefreiheit in Russland, auf den Trikots deutscher Sportler.

Zu Recht fordert die russische Seite immer wieder Respekt und betont, man wolle nicht vom hohen Ross mit westlicher Besserwisserei belehrt werden. Aber die Realität zeigt: Beim Umgang mit Bürger- und Grundrechten könnte Russland vom Westen noch sehr viel lernen. Die Bereitschaft dazu ist freilich nicht vorhanden - daran haben auch fünf Jahre Petersburger Dialog nichts ändern können.

Die Kritik an den demokratischen Defiziten Russlands sollte aber nicht einigen mutigen Zeitgenossen oder einzelnen Gruppen überlassen
bleiben. Auch Vertreter von Wirtschaft und Gesellschaft dürfen keine Gelegenheit versäumen, um klarzumachen, dass zu einem modernen
demokratischen Staat eine freie Presse gehört, die Vielfalt der Meinungen sowie Arbeitsbedingungen, unter denen Journalisten nicht um Leib und Leben fürchten müssen.

Übrigens nicht nur in Moskau - sondern auch in der russischen Provinz. Dies immer wieder zu thematisieren, bleibt eine Herausforderung für das gesamte Spektrum der deutsch-russischen Beziehungen.