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Politik

Ein verschwendetes Jahr

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
29. März 2018

Die nunmehr seit zwölf Monaten andauernden Brexit-Verhandlungen zeigen, dass es eigentlich unmöglich ist, ohne Schaden für sich selbst die EU zu verlassen. Deshalb ist es Zeit zur Umkehr, meint Bernd Riegert.

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Aus EU-Fahne wird Stern ausradiert, Symbolfoto Brexit
Bild: picture-alliance

Noch genau ein Jahr, dann scheidet Großbritannien auf eigenen Wunsch aus der Europäischen Union aus. Seit genau einem Jahr wird zwischen der britischen Regierung und der EU verhandelt. Konkret erreicht wurde bislang wenig. Nach Monaten der Orientierung - man könnte auch sagen des Chaos - in der britischen Regierung ist das einzige Ergebnis bislang, dass eine Übergangsphase vereinbart wurde. Das Brexit-Drama wird ein wenig gestreckt, bis Dezember 2020, um den Briten zu ermöglichen, das auszuhandeln, was sie am Ende erreichen wollen.

Was wollen sie erreichen? Unklar. Theresa May, die britische Premierministerin und ihr Brexit-Einheizer, Außenminister Boris Johnson, sprechen blumig von den großen Chancen, die ein Vereinigtes Königreich haben werde, wenn es denn erst einmal von den europäischen Ketten befreit sei. Worin diese Chancen bestehen sollen, weiß aber offenbar auch die Premierministerin nicht so genau. Die meisten Wirtschaftsverbände, Rechtsexperten und seriösen EU-Experten sind sich einig, dass es Großbritannien und Nordirland nach dem endgültigen Ausstieg aus der EU gewiss nicht besser gehen wird. Es wird anders, aber nicht besser.

Übergang wohin?

Da Großbritannien weder in der Zollunion noch im Binnenmarkt der Union bleiben möchte, bleibt nur ein möglichst umfassendes Freihandelsabkommen. Das muss aber erst noch ausgehandelt werden. Ein Jahr vor dem Brexit und knapp drei Jahre vor dem Ende der Übergangsphase ist nicht zu erkennen, welche Vorteile ein solches Freihandelsabkommen Großbritannien gegenüber der heutigen Lage bringen könnte.

Riegert Bernd Kommentarbild App
Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Bislang hat die britische Regierung keines der großen Ziele der Brexit-Befürworter erreicht: Sie spart kein Geld, denn auch in der Übergangsphase gehen die Zahlungen in den EU-Haushalt wie gewohnt weiter. Sie hat keine Kontrolle über die gefühlt schlechte Zuwanderung aus den EU-Staaten, denn die Freizügigkeit für EU-Bürger bleibt bis zum letzten Tag der Übergangsphase bestehen. Sie wird rechtlich nicht eigenständig, denn bis zum letzten Tag wird die Rechtsprechung des gemeinsamen Europäischen Gerichtshofes angewendet und werden EU-Gesetze in britisches Recht übergehen. Es ist nur klar, was Großbritannien in dieser Zeit verliert: und zwar jegliches Mitspracherecht in der Europäischen Union. In einem Jahr sitzt kein britischer Minister mehr bei Entscheidungen am Brüsseler Ratstisch, kein britischer EU-Parlamentarier kann mehr abstimmen.

Die Europäische Union, die bislang überraschend geschlossen ihre Interessen verteidigt und durchsetzt, gewinnt aber ebenfalls nichts. Der britische Austritt schwächt die Union als Akteur auf der Weltbühne, er reißt ein großes finanzielles Loch und der wirtschaftliche Verkehr mit den britischen Inseln wird unnötig erschwert. Die EU managt die negativen Folgen des Brexit und lässt das die Briten auch spüren. Ein Entgegenkommen gibt es bislang nicht. Und das ist auch richtig so. Die 27 müssen ihren Laden zusammenhalten und können auf die Interessen des künftigen Drittstaates Vereinigtes Königreich keine Rücksicht mehr nehmen.

Brexit anhalten

Nach einem Jahr zähen Ringens ist jetzt auf beiden Seiten der politische Wille zu erkennen, den Brexit irgendwie sanft zu managen. Mehr aber auch nicht. Rechtlich verbindlich ist noch nichts vereinbart. Es gibt nur Absichtserklärungen, aber keinen Vertragsentwurf. Auch die Übergangsphase ist noch nicht wirksam beschlossen, sondern lediglich für den Fall vereinbart, dass Ende des Jahres auch der eigentliche Austritts-Vertrag steht. Davon sind die beiden Parteien aber noch weit entfernt. Das kniffeligste Problem ist im Moment die Lage an der EU-Außengrenze zwischen dem Vereinigten Königreich und dem EU-Mitglied Irland. Alle sind sich einig, dass Nordirland, das zum Vereinigten Königreich gehört, und Irland eine Einheit ohne erkennbare Grenze bleiben sollen. Eine Grenze zwischen Nordirland und dem Rest Großbritanniens ist allerdings ebenso schwer vorstellbar. Wo also soll die neue EU-Außengrenze, der Brexit-Schutzwall, verlaufen? Einen praktikablen Vorschlag dazu will die britische Regierung angeblich bald vorlegen. Es wird höchste Zeit.

Noch sind die wirtschaftlichen Folgen, die der angekündigte Brexit hat, überschaubar. Aber niemand kann vorhersagen, was passiert, wenn es wirklich passiert. Das Ganze bleibt ein leichtsinniges politisches Experiment. Besser wäre es, vom Brexit abzulassen und den Unsinn abzublasen. Doch das Referendum zählt mehr. Noch wäre Zeit für eine zweite, ehrlichere Abstimmung im Lichte der absehbaren Brexit-Folgen. Doch die würde Großbritannien noch mehr spalten und vielleicht zerreißen. Aber deshalb jetzt Augen zu und durch? Noch ist ein Jahr Zeit, den Austrittsprozess anzuhalten.

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Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union