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Politik

Soll Big Brother sich ruhig satt sehen dürfen?

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Charlotte Potts
19. Dezember 2016

Immer mehr Videokameras überwachen unseren Alltag - im öffentlichen Raum, am Körper von Sicherheitsbeamten. Das ist nicht schlimm, meint Charlotte Potts. War es zumindest bis zu diesem Jahr nicht.

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Symbolbild Überwachungskamera
Bild: Fotolia/F. Schmidt

Seit Jahren werde ich überwacht. Wie jeder von uns. Die US-Regierung hat dutzende Versionen meiner Fingerabdrücke und Profilfotos gespeichert. In Städten wie London und Berlin wurden schon stundenlange Videoaufnahmen von mir produziert - wie ich in ein Flugzeug oder die U-Bahn steige, wie ich morgens im Regierungsviertel zur Arbeit gehe oder wie ich Museen besuche. Das macht mir keine Sorgen. Ich denke sogar: Je mehr Aufnahmen es von mir gibt, desto besser.

Denn solange ich mir nichts zu schulden kommen lasse, gehen die Aufnahmen in einer für Sicherheitsbehörden unüberschaubaren Datenflut unter.

Wunderwaffe gegen das Verbrechen?

Fast 15.000 Kameras überwachen allein in Berlin den Nahverkehr oder öffentliche Gebäude. Das ging Anfang des Jahres aus einer Antwort der Innenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der Piraten-Partei hervor. Überwachung per Kamera ist in den meisten Ländern der Welt allgegenwärtig. Die Tendenz ist auch in Deutschland steigend.

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Charlotte Potts ist Korrespondentin im Hauptstadtstudio

Videoüberwachungsanlagen werden auf Englisch CCTV - Closed Circuit Television - genannt. Ihre Bilder werden eben nicht wahllos überall hin, sondern nur an eine begrenzte Zahl von Empfangsgeräten übertragen. Und die Aufklärung vieler Verbrechen ist durch CCTV überhaupt erst möglich geworden.

So auch im Falle des Berliner U-Bahn-Treters. Vor eineinhalb Wochen wurde das Video öffentlich: Eine Frau ging die Treppe zum U-Bahn-Steig hinunter, als ihr ein Mann unvermittelt in den Rücken trat. Sie stürzte hinab, der Mann ging einfach weiter. Die Tat ereignete sich bereits am 27. Oktober.

Doch erst als die Aufnahmen Wochen später publik wurden - nicht durch die Fahnder selbst, sondern wohl durch einen Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe - gelang der Durchbruch: Im Netz verbreitete sich das Video millionenfach. Inzwischen ist der mutmaßliche Täter gefasst.

Freiheit versus Sicherheit

Auch bei dem Flüchtling, der im Verdacht steht eine 19-jährige Medizinstudentin in Freiburg vergewaltigt und ermordet zu haben, führten Videoaufnahmen aus der Freiburger Straßenbahn zum Fahndungserfolg. Eine Polizeibeamtin erkannte den Verdächtigen aufgrund seiner auffälligen Frisur.

Für die Hersteller von Überwachungstechnik sind solche Erfolgsgeschichten das beste Marketing. Und je angespannter die Sicherheitslage, desto mehr rückt die Sorge um Privatsphäre und Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Bürger in der Hintergrund. Doch die alte Frage bleibt: Wie viel Freiheit sind wir bereit für unsere Sicherheit aufzugeben?

Körperkameras - auch in Deutschland bald überall?

Momentan testet die Deutsche Bahn Körperkameras für ihre Sicherheitskräfte. Die kleinen Kameras, die wie eine Kette um den Hals hängen, sollen potenzielle Straftäter abschrecken oder nach der Tat überführen. Keine schlechte Idee: Doch idealerweise sollten "Bodycams" nicht nur Verdächtige Straftäter identifizieren, sondern auch umgekehrt funktionieren - um nämlich die Sicherheitskräfte im Zaum zu halten.

Das war zumindest die Idee von schwarzen Aktivisten in den USA. Nach dem Tod von Michael Brown in Ferguson durch einen Polizisten, gingen die Darstellungen, was an Ort und Stelle wirklich passiert war, weit auseinander. Der Polizist sagte aus, Brown habe ihn angegriffen, daraufhin habe er geschossen. Umstehende sagten, Brown habe beide Arme in die Höhe gerissen, um zu signalisieren, dass von ihm keine Gefahr ausgehe - und trotzdem habe der Polizist geschossen. Videoaufnahmen vom Vorfall gab es keine.

Bodycams dokumentieren Missstände

Dafür aber von anderen: In den darauffolgenden Monaten tauchten unzählige Videos (teils selbstgedreht, teils von Überwachungskameras) auf, in denen Polizisten scheinbar willkürlich gegen verdächtige Personen vorgingen. Polizeigewalt, vor allem gegen Schwarze, wurde in den USA auch deshalb zum Politikum, weil es nun handfeste Beweise gab.

Körperkameras sollen nun eine Lösung bieten, um zu dokumentieren, was genau zwischen der Polizei und den kontrollierten Bürgern abläuft: In vielen US-Bezirken sind sie mittlerweile Pflicht für Polizisten, aber auch viele Schwarze tragen sie, um beweisen zu können, falls ihnen Unrecht geschieht. Zugegebenermaßen mehr Flickschusterei als eine grundsätzliche Lösung - aber zumindest gibt es nun nach Vorfällen nicht mehr nur eine Seite der Geschichte.

Es bleibt ein bitterer Beigeschmack

Also bringt Videoüberwachung eine Menge Vorteile: Straftaten können in Ablauf und Art nachvollzogen werden. Verdächtige können mit Hilfe der Öffentlichkeit schneller gefasst werden. Zukünftige Straftäter werden womöglich abgeschreckt. Missstände bei der Polizei selbst können nicht nur schneller aufgedeckt, sondern auch für die Öffentlichkeit dokumentiert werden.

Seit Jahren werde ich überwacht und es hat mir reichlich wenig ausgemacht. Und trotzdem bleibt nach den Erfahrungen des Jahres 2016 ein bitterer Beigeschmack: Was, wenn diese Aufnahmen in die falschen Hände geraten? Was, wenn russische Hacker sich in die CCTV's einloggen? Was, wenn plötzlich jeder meiner Schritte nachvollziehbar ist? Auch im Fall von Überwachungskameras gilt, was für jede Technologie gilt: Sie ist nur solange gut, bis sie gegen einen selbst verwendet wird.

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