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Der Handel mit der Türkei hat seinen Preis

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
4. Mai 2016

Die EU hat ein Geschäft mit der Türkei abgeschlossen, um sich den Zustrom der Migranten vom Hals zu halten. Aber wer A sagt, muss auch B sagen - und Ankara die vereinbarten Zugeständnisse machen, meint Barbara Wesel.

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Symbolbild Aufhebung Visumspflicht für türkische Staatsbürger
Bild: Getty Images/C. McGrath

Natürlich ist es Erpressung: Ohne Umschweife hat die Regierung in Ankara gedroht, wenn die EU türkischen Bürgern die Visa-Befreiung nicht gewähre, werde sie keine Flüchtlinge aus Griechenland mehr zurücknehmen. Aber zu einer solchen Situation gehören immer zwei: Der Erpresser und derjenige, der sich erpressbar gemacht hat. Irgendetwas muss die Regierung Erdogan doch für ihre Zugeständnisse an Europa bekommen - selbst wenn es vielen Europäern jetzt schwer fällt, den Preis zu zahlen.

Entdeckt man erst jetzt die anti-demokratische Politik Erdogans?

Die Europäer sollten nicht so tun, als hätten sie jetzt plötzlich anhand der Visa-Liberalisierung entdeckt, dass die Türkei unter Erdogan sich immer weiter vom Pfad der Demokratie entfernt. Hätten sie ihre eigenen jährlichen Fortschrittsberichte gelesen, wären ihnen die Probleme längst im Detail bekannt. Aber der Autokrat vom Bosporus war so lange salonfähig, wie man den Flüchtlingsdeal mit ihm abschließen wollte. So groß war der innenpolitische Druck in einigen EU-Ländern - darunter auch in Deutschland - dass die Regierungen gern bereit waren, über die Flecken auf seiner demokratischen Weste hinwegzusehen.

Man betrachte die Sache doch einmal von der anderen Seite: Die Türkei hat schon rund zwei Millionen syrische Flüchtlinge bei sich aufgenommen, selbst wenn viele dort unter erbärmlichen Bedingungen leben. Warum also sollte sie zustimmen, noch mehr Syrer zu beherbergen, wenn sie dafür nicht etwas bekommt? Die drei Milliarden Euro, die die Europäer zugesagt haben, fließen schließlich nicht in die Staatskasse, sondern in Projekte zur besseren Versorgung der Flüchtlinge im Land. Wo also wäre der Anreiz für die türkische Regierung, wenn es nicht um den politischen Triumph ginge, von der EU endlich den seit Jahrzehnten gewünschten Visa-freien Reiseverkehr zu erhalten?

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Barbara Wesel ist DW-Korrespondentin in Brüssel

Die Türkei hat die Europäer nicht mit der Pistole gezwungen, mit ihr das Abkommen über die Rücknahme von Flüchtlingen abzuschließen. Im Gegenteil: Es war der verzweifelte Versuch von Angela Merkel, die Implosion Europas aufgrund der Flüchtlingskrise zu verhindern. Sie hat peinliche Auftritte mit Präsident Erdogan überstanden, sich brüskieren lassen und natürlich gewusst, dass das Geschäft mit ihm seinen Preis haben würde. Nun sollten ihre Parteifreunde sich nicht als politische Jungfrauen aufführen und fordern, es dürfe "keinen Flüchtlingsrabatt" für die Türkei geben. Natürlich gibt es den! Was denn sonst?

Der Flüchtlings-Deal mit der Türkei war ein Fehler

In Brüssel wird jetzt gefordert, man müsse sich mit der Türkei auseinandersetzen und einlassen, um ihre Politik positiv zu beeinflussen. Es ist schön, wenn auf diese Weise das Prinzip Hoffnung hochgehalten wird. Man kann aber auch realistisch sein und zugeben, dass die Türkei nach Jahren der Nichtbeachtung durch die EU jetzt in eine undemokratische Richtung abdriftet. Und dass man dem weitgehend hilflos zuschauen muss.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Europa muss die Menschenrechtsverstöße, die Verfolgung der Kurden, die Prozesse gegen Journalisten von morgens bis abends kritisieren. Und sie soll jeden politischen und wirtschaftlichen Druck ausüben, um Erdogans diktatorische Tendenzen einzudämmen. Allerdings hätte sie das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei unter den gegebenen Umständen gar nicht abschließen dürfen. Es ist ein schmutziger Deal. Und es ist ein Armutszeugnis für Europa, dass es nicht imstande ist, wenigstens die gleiche Zahl von syrischen Flüchtlingen aufzunehmen wie die Türkei. Hinterher aber so zu tun, als ob man plötzlich die demokratische Fragwürdigkeit Ankaras entdeckt, ist einfach heuchlerisch. Wer bestellt, zahlt die Rechnung - das gilt auch in der Politik.

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