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Deutschland uneinig Vaterland

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Gero Schließ
23. Mai 2016

Nach drei Jahren als USA-Korrespondent trifft Gero Schließ auf ein verändertes Deutschland. Das Land ist tiefer gespalten denn je. Angela Merkel muss die Menschen wieder ins Gespräch miteinander bringen, meint Schließ.

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Bildergalerie Sonnenuntergang in Deutschland
Bild: picture-alliance/dpa/Robert Schlesinger

Drei Jahre sind eigentlich keine lange Zeit in einem Menschenleben. Und viel weniger noch in der Geschichte eines Landes oder eines Kontinents. Doch die zurückliegenden drei Jahre hatten es in sich: Europa hat sich massiv verändert in dieser Zeit. Und mit ihm auch Deutschland. Manche sprechen von tektonischen Verschiebungen und zerstörerischen Fliehkräften.

Für mich steht fest: Das ist der stärkste Umbruch unseres Landes seit Jahrzehnten. Vielleicht nur vergleichbar mit den Jahren des Wiederaufbaus oder der Wiedervereinigung. Das waren, Schicksalsjahre für Deutschland, in denen das Land in eine neue Richtung steuerte.

Wohin steuert Deutschland jetzt?

Das Bild ist paradox. Unsicherheit und Orientierungslosigkeit sind mit Händen zu greifen. Die Häufung von Krisen hat alte Gewissheiten zerstört. Nicht nur Deutschland, auch die Deutschen hat das verändert. Sie sind fragender geworden, misstrauischer, wütender. Aber auch verwundbarer, sensibler.

Und gleichzeitig sieht es so aus, als ob das Leben für viele einfach so weiter geht. Als wäre nichts geschehen. Als wollten die Menschen die Veränderungen gar nicht wahrhaben. Denn für viele sind die Flüchtlinge weiterhin weit weg, ist der Arbeitsplatz sicher, steigen die Gehälter.

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Gero Schließ war drei Jahre Korrespondent in Washington und wechselte jetzt ins Hauptstadtstudio Berlin

Während die einen also dem alten Trott folgen, sind andere in Aufruhr, gehen auf die Straße, stimmen für die AfD oder hängen anderen, noch radikaleren Gruppierungen an. Und uns lehrt eine steigende Zahl von Gewalttätern das Fürchten: Jene, die Messerattacken auf friedliche Menschen verüben oder Brandanschläge auf Flüchtlingsheime. Wie wohltuend daneben die große Hilfsbereitschaft und die zahllosen Initiativen zur Aufnahme der Flüchtlinge.

Gespalten und gestresst

Deutschland ist ein gespaltenes Land. Und Deutschland ist ein gestresstes Land. Das gilt nicht zuletzt auch für die Politik. Damals, vor drei Jahren, war die FDP in einem bejammernswerten Zustand. Heute steuern auch die Sozialdemokraten auf diesen Status zu. Kraft- und ideenarm dümpeln sie im historischen Umfragetief. Die AfD hat das Zeug zur dritten politischen Kraft und möglichweise könnte es so enden wie in Österreich, wo die Wähler die einstmals Große zur faktisch kleinstmöglichen Koalition degradiert haben.

Wäre da nicht Kanzlerin Merkel. In Deutschland kämpft sie mit heftigen Gegenwinden, im Ausland genießt sie immer noch legendäre Anerkennung und gilt vielfach als der letzte Hoffnungsträger in einem sich auflösenden Europa.

Warnendes Beispiel USA

Die USA sind ein warnendes Beispiel dafür, was jetzt nicht passieren sollte: Dort verloren die politischen Eliten dramatisch an Bodenhaftung und Glaubwürdigkeit. Jahrzehntelange Blockade und selbstreferenzielle Destruktivität entzweien und radikalisieren das Land. Donald Trump vertieft die Gräben und will so Präsident werden.

Das Ergebnis: Die Gesprächsfähigkeit von Parteien und gesellschaftlichen Gruppen untereinander ist dauerhaft gestört.

Merkel muss moderieren

Wir in Deutschland entdecken jetzt gerade noch rechtzeitig: Parteien und Menschen müssen miteinander im Gespräch bleiben. Oder ins Gespräch gebracht werden. Das gilt auch für die AfD, ihre Mitglieder und mehr noch ihre Wähler und Sympathisanten. Verteufelung und Verdrängung sind die falsche Antwort. Angela Merkel muss sich jetzt noch einmal neu erfinden. Aus der Mutter Courage der Flüchtlinge sollte eine Moderatorin werden, die dieses Gespräch in Gang bringt und begleitet. Ein Gespräch darüber, wer wir sind und wo wir hinwollen. Das verlangt Merkel viel ab, steht sie doch im Zentrum der Anfeindungen von rechts. Doch auch das ist eine Erkenntnis aus den vergangenen drei Jahren - trotz aller Veränderungen gilt der alte Satz heute mehr denn je: "Auf die Kanzlerin kommt es an!"

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