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Die AKP sucht Verbündete

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Seda Serdar
3. November 2015

Recep Tayyip Erdogan will eine neue Verfassung. Dafür braucht der türkische Präsident die Unterstützung der Opposition. Für die Zukunft des Landes sind zwei völlig gegensätzliche Szenarien denkbar, meint Seda Serdar.

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Türkei Ankara Erdogan vor neuem Präsidentenpalast 01.12.2014
Der türkische Präsident Erdogan vor seinem neu erbauten Amtssitz in AnkaraBild: picture-alliance/Kayhan Ozer/Anadolu Agency

Er scheint seinem größten Ziel wieder einen Schritt näher zu sein: einem Präsidialsystem, in dem Recep Tayyip Erdogan fast nach Gutdünken regieren kann. Anhänger seiner Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) ziehen dabei gerne den Vergleich mit dem politischen System der USA. Allerdings vergessen sie dabei, dass "Checks and Balances", also die gegenseitige Kontrolle der Verfassungsorgane, in Washington für Ausgleich sorgen.

In der Türkei gibt es das schon lange nicht mehr. Und in den nächsten vier Jahren dürfte sich das auch nicht ändern. Für Wähler, die nicht für die AKP gestimmt haben, werden das wohl harte Zeiten.

Zwei denkbare Szenarien

Um die Verfassung nach seinen Vorstellungen zu ändern, braucht Erdogan jedoch Unterstützung. Die 317 Sitze seiner AKP im Parlament sind nicht ausreichend. Zwei Szenarien sind daher denkbar.

Zum einen könnte die AKP weiter die nationalistische Karte spielen und rechte Kräfte auf ihre Seite ziehen. Das würde weitere Attacken auf die kurdische Arbeiterpartei PKK bedeuten, vor allem auch um ihre militärischen Schlagkraft zu verringern. Mit Hilfe der nationalistischen MHP könnte die AKP dann das nötige Quorum von 330 Stimmen im Parlament erreichen.

Ein zweites Szenario: Die AKP nähert sich der pro-kurdischen HDP an und bringt den Friedensprozess mit den Kurden neu in Gang. Denn nun, da die Wahlen vorbei sind, profitiert die AKP nicht weiter von Instabilität und Unsicherheit. Da könnte die HDP als Partner eher zu Pass kommen denn als Feind. Auch wenn sie sich in der Vergangenheit bekämpft haben - es gibt noch Hoffnung, dass die beiden Parteien zueinander finden. Eigentlich sollte die HDP keinerlei Interesse an einem Machtzuwachs des Präsidenten haben - es sei denn, sie kann im Gegenzug eine stärkere Dezentralisierung des Landes durchsetzen. Gemeinsam kämen die beiden Parteien sogar auf 367 Stimmen. Ein Referendum wäre bei einer solchen Mehrheit laut geltender Verfassung gar nicht mehr nötig.

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Seda Serdar leitet die Türkische Redaktion der DW

Die kurdische Frage bleibt ein Problem

Die Türkei ist jedoch nicht allein in dieser Welt. Ganz im Gegenteil: Sie steht im Epizentrum der drängendsten Fragen unserer Zeit: Flüchtlingskrise, Terrorismus, Instabilität. Der Kampf gegen den so genannten "Islamischen Staat" (IS) wird noch Jahre dauern. Das hat Ankara endlich eingesehen.

Der kurdische Faktor wird für die Türkei in dieser Gemengelage weiterhin ein heikles Thema bleiben. Die Staatsräson in Ankara lässt keinen kurdischen Staat an der syrischen Grenze zu. Die USA hingegen sehen die Unterstützung der Kurden als notwendig an im Kampf gegen den IS, wollen jedoch gleichzeitig Erdogan nicht verärgern, weil sie auf Luftwaffenstützpunkte in der Türkei angewiesen sind. Deshalb bleiben die USA auch so zaghaft in ihrer Kritik des wachsenden Demokratiedefizits in der Türkei.

Europa in der Zwickmühle

Europa steckt in einer ähnlichen Zwickmühle: Die EU-Mitgliedsstaaten und speziell Deutschland sind angesichts der Flüchtlingsströme so besorgt, dass sie alle Werte über Bord werfen. Sie denken nur noch darüber nach, wie sie Erdogan glücklich machen können, damit dieser die Menschenmassen aufhält. Der türkische Präsident spielt die Flüchtlingskarte aus und versucht nicht nur finanziell zu holen, was zu holen ist, sondern damit auch den stockenden EU-Annäherungsprozess wieder in Gang zu bringen.

Es sieht so aus, als würden sich sowohl die USA als auch die EU allein auf das konzentrieren, was sie derzeit unmittelbar betrifft, anstatt für die gemeinsamen Werte einzutreten. Werte, ohne welche die Türkei nicht mehr der Alliierte des Westens sein kann. Und das in einer Lage, in der beide von der Türkei so abhängig sind.