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Kommentar: Die Berlinale vernachlässigt Osteuropa

Jochen Kürten20. Februar 2006

12 Tage Festival liegen hinter den Berlinern und den Besuchern aus aller Welt. War es nun eine gute Berlinale? Eine die etwas Besonderes bot? Wurde der Anspruch erfüllt, eine politische Berlinale zu präsentieren?

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Szene aus dem bosnischen Siegerfilm GrbavicaBild: Berlinale

Ja, es war eine politische Berlinale, eben weil viele Filme des Wettbewerbs sich dezidiert mit politischen Inhalten beschäftigt haben: mit den Folgen der Kriege in Bosnien, Afghanistan oder Irak und mit den Schicksalen der Opfer dieser Konflikte. Doch eines sollte nicht vergessen werden: Berlin war immer, vor allem in den 1970er und 1980er Jahren, d a s politische Filmfestival weltweit. Cannes hatte immer die großen Stars, den ganz großen Glanz aus Hollywood, auch gute Filme, selbstverständlich, Venedig, das dritte der "Großen Drei", hat sein Augenmerk immer auf die Film-Kunst gerichtet, vor allem den europäischen und internationalen Autorenfilm gepflegt.

Ideologisch aufgeladen

Die Berlinale aber - das hat man heute schon fast vergessen - das war doch auch das Festival in der Stadt mit der Mauer, in der Stadt, die auf der Nahtstelle des Kalten Krieges lag. Was waren das für Auseinandersetzungen um einzelne Filme, die stets für vieles herhalten mussten, die nicht selten im Kampf der Systeme an den Rand gedrängt wurden. Es gab den Boykott russischer Filme, weil amerikanische Streifen beispielsweise Stellung nahmen zum Krieg in Vietnam. Das Festival stand einmal kurz vor dem Abbruch, ein deutscher Beitrag, der sich auch mit dem US-Trauma Vietnam beschäftigte, hatte viele in der Bundesrepublik schwer beleidigt.

Boykott durch Filmbürokraten

Berlin war immer die Plattform für systemkritische Filme aus vielen osteuropäischen Ländern, auch aus der DDR. Unzählige Dispute über Einladungen an Filmemacher aus Osteuropa wurden geführt und viele sozialistische Filmbürokraten reisten erst gar nicht an zum Festival. Auch mit den chinesischen Filmbehörden gab es Krach und Wortwechsel um Werke, die in der Heimat als nicht opportun galten.

Alte Tradition

Also, dass die Berlinale ein politisches Festival ist, das ist nun wahrlich nicht neu. In den vergangenen Tagen hat man nur an eine gute alte Tradition angeknüpft. Dass ausgerechnet der bosnische Wettbewerbsbeitrag und damit der einzige aus Osteuropa den "Goldenen Bären" erhielt, das könnte man darüber hinaus als Spitze gegen die Zusammenstellung des Wettbewerbs interpretieren, auch wenn die Jury dies sicher nicht so beabsichtigt hat. Sie hat damit aber indirekt auf ein Hauptmanko der Berlinale aufmerksam gemacht: die sträfliche Vernachlässigung der osteuropäischen Kino-Nationen inklusive Russlands. Wer einmal die kleineren Spezial-Festivals in Cottbus und Wiesbaden besucht hat, der weiß, dass es bei all den schwierigen und komplizierten Produktionsverhältnissen der osteuropäischen Länder eine ganze Menge sehenswerter Filme von dort gibt.

Weniger Hollywood

Dieter Kosslick und sein Team, das nun fünf Jahre im Amt ist, sollte die Verleihung des "Goldenen Bären" auch als mutmachenden Appell sehen: Mal auf den einen oder anderen mittelklassigen Hollywood-Film verzichten, auch auf neue Großproduktionen aus Asien im übrigen, deren künstlerischer Wert gegen Null tendiert, und stattdessen nach Osteuropa schauen und an eine gute alte Berlinale-Tradition anknüpfen.