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Kommentar: Die Debatte steckt noch in den Kinderschuhen

Uta Thofern14. Juni 2006

Ab 2007 soll es in Deutschland ein Elterngeld geben. Ein Fortschritt, aber lange nicht ausreichend, zumal die wochenlange Debatte zeigte, dass hinter den Kulissen immer noch eine harte Geschlechterdebatte tobt.

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Bild: AP

Das Elterngeld ist leider nur ein Trostpflaster geworden. Ein kleiner gesellschaftspolitischer Erfolg vielleicht, für mehr wird es nicht reichen. Das eigentliche Problem des Geburtenrückgangs und der dramatischen Überalterung der Gesellschaft wird mit Sicherheit nicht gelöst und auch nicht gelindert.

Nur noch 1,36 Kinder bekommen deutsche Frauen im Schnitt, weniger sind es in Europa nirgends, und vor allem Akademikerinnen gelten als Gebärverweigerinnen. Vom "deutschen Sonderweg" ist in der Familienwissenschaft bereits die Rede – nicht zufällig eine Vokabel, die an die Politik der Nazi-Zeit erinnert. Die Frauenpolitik der Nationalsozialisten war eine Fortsetzung ihrer Rassenideologie, die "deutsche Mutter" ihr Symbol. In der Konsequenz wurde nur in Deutschland die Mutterrolle von der Liberalisierungsbewegung der 68er Jahre so verächtlich gemacht und ihr Gegenbild politisch so überhöht.

Kind oder Karriere, diese ohnehin schon schwierige persönliche Entscheidung wurde zum Thema einer hochgradig ideologisierten Auseinandersetzung. Jahrelang schien das Problem nicht zu sein, dass man sich entscheiden musste, sondern wie man sich entschied. Schlagwörter wie "repressives Familienmodell" einerseits, "Karriereweiber" und "Rabenmütter" andererseits kennzeichneten den Frontverlauf und das Niveau der Debatte.

Erst die Erkenntnis, dass der Geburtenrückgang das gesamte sozialpolitische Gefüge Deutschlands gefährdet, bewirkte einen langsamen Bewusstseinswandel. Doch typisch für die Verdrängungsmechanismen der alten Bundesrepublik wurde zunächst der Versuch unternommen, den Mangel mit Geld zuzukleistern: Mehr sozialpolitische Leistungen sollten die Nachwuchsproduktion ankurbeln. Vergeblich.

Der neuen Familienministerin von der Leyen ist es erstmals gelungen, die Debatte in eine andere Richtung zu zwingen. Der promovierten Mutter von sieben Kindern ist schwer zu widersprechen, wenn sie als lebender Beweis für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie antritt. Ein neues Elterngeld nicht mehr als sozialpolitische Wohltat, sondern als Lohnersatzleistung für den Verdienstausfall im ersten Erziehungsjahr, für ein volles Jahr nur gezahlt, wenn beide Eltern sich für die Erziehung Zeit nehmen, das waren ihre – richtigen – Ansätze. Es waren die Konservativen aus allen politischen Lagern, die das Projekt mit Schimpfworten wie "Wickel-Volontariat" als Einmischung in die Entscheidungsfreiheit der Eltern und Angriff auf traditionelle Familienmodelle diskreditierten oder als unsozial abqualifizierten, weil Nicht-Verdiener auch nicht gefördert werden sollten.

Die große Koalition der Konservativen setzte sich durch, und was dabei herauskam, ist eine Missgeburt: Das Basis-Elterngeld wird weiterhin als eine Art Gebärprämie mit der Gießkanne verteilt, nur ein Teil wird abhängig von Berufstätigkeit und Einkommen ausgezahlt. Die so genannten Väter-Monate sind nicht mehr selbstverständliche Voraussetzung für die volle Bezugsdauer, sondern es gibt zwei Bonusmonate, wenn auch die Männer es schaffen, sich an der Erziehung zu beteiligen.

Nichts könnte den Stand des gesellschaftlichen Bewusstseins vernichtender dokumentieren als dieser Kompromiss. Und schlimmer noch, die Detaildebatte über das Elterngeld verhinderte erstens, dass ernsthaft über eine Anschlusslösung nachgedacht wird. Denn auch eine noch so großzügige Förderung für das erste Erziehungsjahr nützt gar nichts, wenn danach wegen fehlender Kinderbetreuung keine Rückkehr in den Beruf möglich ist. Zweitens ist es den Verteidigern traditioneller Familienbilder gelungen, eine vorurteilsfreie Neudefinition der Väterrolle zu verhindern. Selbst eine gute Ausstattung mit Kindertagesstätten motiviert noch nicht zum Kind, so lange die Erziehungsleistung immer noch als Hauptaufgabe der Frauen begriffen wird und Männer, die sich daran beteiligen wollen, als exotische Ausnahmen gelten.

Deutschland hat im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wohl noch eine längere Rollendiskussion vor sich, bis wirklich partnerschaftliche Erziehungsmodelle auch hier Alltag werden und die Frage Kind oder Karriere sich gar nicht mehr stellt.