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Kommentar: Die Eigentlich-Europameister

Tobias Oelmaier29. Juni 2012

Die deutsche Nationalmannschaft ist zum vierten Mal in Folge bei einem Turnier weit gekommen, zur Titelgewinn hat es aber wieder nicht gereicht. Tobias Oelmaier kommentiert.

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Der Himmel weinte und grollte über Deutschland in der Nacht nach dem Halbfinal-Aus. Eigentlich hätte das DFB-Team doch den Titel gewinnen müssen. 15 Pflichtspiele hatte man in Folge gewonnen - Weltrekord. Die Spieler sind gesegnet mit herausragendem Talent. So eine Qualität, sagen die Experten, hat es hierzulande noch nie gegeben. Dazu sind sie auch alle so lieb, so adrett. Keine Stinkstiefel, keine Revoluzzer, keine Quertreiber. Alle geben smarte Antworten bei ihren Interviews, sie verhalten sich überwiegend tadellos auch abseits des Fußballplatzes. Profis vom Scheitel bis zur Sohle. Traum-Schwiegersöhne. Die Fußballwelt war sich einig: Deutschland hätte den Titel verdient. Lahm, Özil, Schweinsteiger, Müller - sie waren einfach dran. Zumal man zwei Tage mehr Pause hatte, sich vom Viertelfinale zu erholen als der Gegner.

Auf Seiten der Italiener stand ein landesweit bekannter Zocker im Tor, ein anderer mutmaßlicher Manipulateur wurde gar nicht erst mitgenommen zur EM, ein alternder Star dirigierte das Mittelfeld, der rechte Außenverteidiger war eine Notlösung, im Sturm ein Herzkranker sowie ein Verrückter, der für gewöhnlich mehr durch Ausraster als durch Leistungen auf sich Aufmerksam macht. Und doch schafften es die Italiener, dem Manipulationsskandal im eigenen Land, der Wirtschaftskrise zum Trotz, genau auf den Punkt fit zu sein. Sie wussten: nur der Moment zählt, nicht das Gewesene, nicht das scheinbar Logische.

Defizite bei Mimik und Körpersprache

Das zeigte sich schon beim Singen der Nationalhymne. Die Italiener, einschließlich ihrer beiden "Migranten", dem aus Ghana adoptierten Balotelli und Montolivo, dessen Mutter aus Deutschland stammt, schmetterten die Nationalhymne wie der Chor in einer Verdi-Oper. Wahlweise mit geschlossenen Augen oder mit festem Blick, auf jeden Fall aber entschlossen, bis zum letzten Tropfen Blut zu kämpfen. Bei der DFB-Startelf schienen die fünf Einwandererkinder Özil, Podolski, Gomez, Khedira und Boateng, dazu Kroos, gar nicht beeindruckt vom Deutschlandlied. Ihre Mimik - zumindest scheinbar - gleichgültig. Der Rest bewegte wenigstens die Lippen.

Und ähnlich ging es dann auf dem Platz weiter. Die Chancen der Deutschen: nicht mehr als Lippenbekenntnisse. Entschlossenheit sieht anders aus. So wie Balotelli. Zwei Chancen, zwei Tore, das zweite ein fulminanter Schuss, der zeigte: ich will. Carpe diem! Das Weltbild der DFB-Mannschaft war damit wieder zerstört. Irgendwie ergab man sich seinem Schicksal. Wieder gescheitert, obwohl man doch eigentlich...

Die Kommentatoren, die Offiziellen, blicken schon nach vorne, auf die WM 2014 in Brasilien. Das Team sei ja noch so jung, habe ja noch so viel Potential. Tatsächlich aber ist das alles nicht entscheidend. Was zählt, ist auf´m Platz, was zählt, ist der Augenblick. Und dazu braucht es Typen mit Killer-Instinkt. Und keine Talente, die eigentlich dran wären!