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Wo ist die Strategie?

Ingo Mannteufel27. Juni 2008

Beim EU-Russland-Gipfel wurden die Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen gestartet. Doch es ist für die EU riskant, Verhandlungen zu beginnen, meint Ingo Mannteufel. Denn sie weiß nicht, was sie will.

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Ingo Mannteufel
Ingo Mannteufel

Beim ersten EU-Russland-Gipfel mit dem neuen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew im westsibirischen Chanty-Mansijsk gab es den offiziellen Startschuss für Verhandlungen über einen neuen Grundlagenvertrag zwischen der Europäischen Union (EU) und Russland. Das ist fraglos ein gutes Signal für die europäisch-russischen Beziehungen, nachdem der polnisch-russische Fleischstreit sowie litauische Einwände fast zwei Jahre lang die Aufnahme der Verhandlungen blockiert haben.

Eins ist aber schon jetzt gewiss: Die Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen werden schwierig und lang. Das liegt nicht nur an Russland, das sich als wieder erstarkte Großmacht fühlt. Der neue Präsident Medwedew lächelt zwar freundlicher und spricht diplomatischer als sein Vorgänger, doch die Grundpositionen des Kremls sind noch immer dieselben.

Lauter Alleingänge

Das größte Hindernis für einen schnellen Verhandlungserfolg liegt aber auf Seiten der EU. Denn die Europäische Union hat keine klare Strategie für die europäische Russlandpolitik. Nahezu jeder EU-Staat, ob groß oder klein, probiert seit Jahren in bilateralen Beziehungen zu Russland die nationalen Vorteile zu maximieren.

Zwar beklagen nahezu alle europäischen Länder die hohen internationalen Energiepreise und fürchten aufgrund der starken russischen Dominanz um die europäische Energiesicherheit. Doch versucht fast jeder sein Glück alleine - nicht ohne Freude der Russen.

Das gilt beispielsweise für Deutschland und die Niederlande beim Nordstream-Projekt durch die Ostsee oder für Italien, Ungarn, Griechenland und Bulgarien, die mit Russland die Southstream-Pipeline durchs Schwarze Meer verabredet haben - zum Nachteil für das Nabucco-Projekt, das Gas aus Zentralasien und dem Kaspischen Meer über den Südkaukasus nach Europa bringen soll.

Ebenso wird gerne die europäische Russlandpolitik den eigenen nationalen Befindlichkeiten untergeordnet: Das gilt beispielsweise für Polen und die drei baltischen Staaten, die sich in den Verhandlungen mit Russland mehr von der bedauerlicherweise unaufgearbeiteten Geschichte als von gegenwärtigen Interessen leiten lassen.

Von wegen "strategische Partnerschaft"

Das Dilemma der europäischen Russlandpolitik wird aber gänzlich daran deutlich, dass offiziell gerne von "strategischer Partnerschaft" geredet wird. Faktisch wird jedoch aufgrund des diagnostizierten russischen Demokratiedefizits und anderer Differenzen wie beispielsweise in der Kosovo-Frage nur eine selektive Zusammenarbeit betrieben. Die hehren Worte einer "strategischen Partnerschaft" werden dann komplett unglaubwürdig, wenn sich einige EU-Staaten für ein US-Raketenschild oder eine NATO-Erweiterung um die Ukraine oder Georgien einsetzen. Das erinnert dann doch eher an Eindämmungspolitik als an Partnerschaft. Europa weiß nicht, was es von und mit Russland will.

Benötigt wird nun endlich eine intensive und klare europäische Debatte über die EU-Russlandpolitik. Das Ergebnis muss die europäischen Interessen gegenüber Russland mit einer eindeutigen Prioritätenliste versehen. Dementsprechend muss das vertragliche Verhältnis gegenüber Russland ausgestaltet werden.

Kein einfacher, aber ein wichtiger Weg

Es ist sicherlich nicht leicht, eine gemeinsame europäische Strategie für das wichtigste europäische Land außerhalb der EU zu entwickeln. Ohne eine Vision und ohne eine abgesteckte, von allen EU-Staaten geteilte Strategie die Verhandlungen für ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zu beginnen, ist aber ein risikoreiches Unterfangen.

Spätestens beim EU-weiten Ratifizierungsprozess des neuen EU-Russland-Abkommens könnte sich das rächen. Für die EU wäre es fatal, wenn sich zu der offenkundigen inneren Krise nach dem irischen Referendum zum Lissabon-Vertrag auch noch die außenpolitische Handlungsunfähigkeit gegenüber Russland gesellen würde.