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Wunsch nach Kontrolle

Karl Zawadzky19. September 2008

Die Rufe aus Politik und Wirtschaft, die Finanzmärkte unter gewisse staatliche Kontrolle zu bringen, werden immer lauter. Angesichts der Verwerfungen ein verständlicher Wunsch, meint Karl Zawadzky.

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DW-Experte Karl Zawadzky, Deutsches Programm, Wirtschaft
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Die britische Hypothekenbank HBOS hat sich in die Arme von Lloyds TSB geflüchtet; Morgan Stanley sucht ebenfalls einen Retter vor dem Untergang, ebenso die größte US-Sparkasse Washington Mutual. Werden Banken wie Lehman Brothers den verrückt spielenden Märkten geopfert, werden andere Institute wie die internationale Großversicherung AIG gerettet, führt das nur zu einer Frage: Wer ist als nächster vom Untergang bedroht. Es gilt die Devise: Rette sich, wer kann. Ohne Zweifel: Dies ist die größte Krise seit dem Crash von 1929, in dessen Folge die Welt in eine Depression schlitterte, Firmen in die Pleite rauschten, Massenarbeitslosigkeit einzog und windige Gestalten daraus ihren politischen Vorteil zogen.

Nach der Internet-Blase platzt die Finanzmarkt-Blase

Die Finanzmärkte sind außer Rand und Band. Dabei werden lediglich die Fehler und Übertreibungen des Booms korrigiert. Zu lange herrschte die Meinung vor, es werde immer weiter aufwärts gehen, Reichtum ohne Arbeit sei möglich. Manchen Spekulanten ist das sogar gelungen. Zwar war die Blase schon lange erkennbar und oft beschrieben worden, aber die Erkenntnis war verloren gegangen, dass jeder Blase – ob am Finanzmarkt, am Immobilienmarkt oder am Rohstoffmarkt – irgendwann die Luft entweicht. Meist platzt sie. Genau das geschieht in diesen Tagen. Die Zeiten, in denen die Gier den Verstand außer Kraft setzt, sind fürs Erste vorbei. Jetzt ist Sicherheit gefragt; der Goldpreis macht Sprünge wie nie zuvor.

Wer wird gerettet - wer geht Pleite?

Im Gegensatz zu den Akteuren an den Finanzmärkten beweisen die Regierungen und Notenbanken einen kühlen Kopf. Banken und Versicherungen, deren Einsturz das globale Finanzsystem nicht nur erschüttern, sondern wie beim Domino-Spiel umwerfen könnte, werden gerettet. Sind dagegen die zu erwartenden Konsequenzen begrenzt, wirkt die "schöpferische Zerstörung". Nach dieser Logik ist die AIG, eine der größten Versicherungen der Welt mit mehr als 100 Millionen Kunden in 130 Ländern, durch Verstaatlichung gerettet worden. Der Grund: Zu viele Amerikaner hätten bei ihrem Zusammenbruch ihre Altersvorsorge verloren; außerdem ist die AIG weltweit für die Banken einer der großen Kreditversicherer. Ihr Untergang hätte eine Kernschmelze des Weltfinanzsystems auslösen können. Dagegen ist der Untergang von Lehman Brothers, der drittgrößten amerikanischen Investmentbank, zwar schmerzhaft, aber zu verkraften.

Notenbanken halten das System am Laufen

Das heißt: Zwar herrscht an den Finanzmärkten das große Zittern, die Börsen sind auf Berg- und Talfahrt, aber die Regierungen und Notenbanken haben sich von der allgemeinen Verunsicherung nicht anstecken lassen, sondern entschlossen gehandelt. Die Finanzmärkte werden mit Dollar, Euro, Yen, Pfund und Rubel regelrecht geflutet. Damit wird das System am Laufen gehalten. Ergänzend arbeiten der amerikanische Finanzminister Henry Paulson und Notenbankpräsident Ben Bernanke an einer Auffanglösung. In einer Zweckgesellschaft sollen faule Kredite und riskante Papiere gebündelt werden, die derzeit Banken an den Rand des Abgrunds treiben oder gar in den Abgrund stürzen.

Nach der Rettung muss reguliert werden

Das heißt: Der Staat tritt als Retter an. Erste Informationen haben an den Börsen bereits zu einer kräftigen Erholung geführt. Nachdem die Gewinne privatisiert worden sind, werden nun die Verluste sozialisiert. Sind dadurch die Banken saniert, kann das böse Spiel wieder von vorn beginnen, es sei denn, der Staat verbindet seine Rettungsaktion mit strengeren Auflagen für die Finanzbranche. Die freilich läßt sich gern retten, aber höchst ungern ihre Geschäfte regulieren. Doch ohne strengere Aufsicht und Regulierung wird mit der Rettung nur der Keim für die nächste Blase an den Finanzmärkten gelegt.