1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Fatale Unentschlossenheit

Christoph Hasselbach12. Mai 2014

Bisher scheut die EU vor umfassenden Wirtschaftssanktionen gegen Russland zurück. Doch nur damit ließe sich Putin beeindrucken, findet Christoph Hasselbach.

https://p.dw.com/p/1ByP9
Deutsche Welle Christoph Hasselbach (Foto: DW)
Bild: DW/P. Henriksen

Hilflos sieht die EU in diesen Wochen zu, wie eine schöne alte Weltordnung zerbricht. In dieser Weltordnung hatten Ost und West einen friedlichen Ausgleich gefunden. Man achtete die territoriale Integrität des anderen, Grenzen wurden, wenn überhaupt, nur einvernehmlich nach einem geregelten Verhandlungsprozess und mit Minderheitenschutz verändert. Noch immer hat man in Brüssel große Schwierigkeiten, sich auf die neuen, alten Realitäten einzustellen: auf Machtpolitik, auf geopolitisches, auf militärisches Denken.

Die EU hat die russische Annexion der Krim offenbar noch gar nicht als die große Zeitenwende verarbeitet, die sie ist, da zeichnet sich bereits immer deutlicher ab, dass Russland auch die Ostukraine bekommen wird, früher oder später. Der russische Präsident Putin wird sich von seinem Ziel, möglichst viel von der alten Sowjetherrlichkeit wiederherzustellen, jedenfalls nicht von ein paar Kontensperrungen abbringen lassen. Deswegen laufen auch alle Brüsseler Dialogangebote an Russland letztlich ins Leere. Einzelne Zugeständnisse Putins sind rein taktischer Art. Und er ist bis zu einem bestimmten Punkt durchaus bereit, wirtschaftliche Nachteile und Isolierung inkauf zu nehmen.

Putin feiert den nationalen Wiederaufstieg

Jetzt zieht die EU also die Sanktionsschraube noch ein bisschen weiter an. Wer soll sich eigentlich davon beeindrucken lassen? Putin bestimmt nicht. Der nationale Prestigegewinn, wie ihn der russische Präsident gerade bei den Mai-Paraden zelebrieren konnte, wiegt ein paar murrende Oligarchen oder einen schwächelnden Rubel allemal auf. Dabei könnte die EU Russland wirklich empfindlich treffen, wenn sie es nur wollte.

Sie müsste dann allerdings die ganz große Keule umfangreicher Wirtschaftssanktionen aus dem Schrank holen. Und davor schrecken viele EU-Regierungen zurück, weil sie sich nicht selbst schaden wollen - wirtschaftlich und politisch. Denn es stimmt zwar, Russland ist wirtschaftlich abhängiger von der EU als die EU von Russland. Doch während sich Politiker im Westen um jede Umfrage, um jede wirtschaftliche Negativmeldung Sorgen machen müssen, kann ein Mann wie Putin in seiner "gelenkten Demokratie" darüber hinweggehen.

Wer will Opfer für die Ukraine bringen?

Die Europäische Kommission hat jetzt jedem einzelnen Mitgliedsland in einer Handreichung prognostiziert, was es im Falle von umfangreichen Wirtschaftssanktionen an schädlichen Auswirkungen für sich selbst zu erwarten hätte. Die Zahlen sind geheim, wohl aus gutem Grund. Aber das Internetportal stern.de will sie kennen und hat sie veröffentlicht. Danach würde zum Beispiel in Deutschland aus einem kräftigen Wachstum in diesem und im nächsten Jahr ein leichter Rückgang der Wirtschaftstätigkeit werden.

Damit sind westlichen Politikern die Hände gebunden: ein paar Dezimalen Veränderung beim Bruttoinlandsprodukt, und sie können ihre Wiederwahl vergessen. Sie werden sich die Frage stellen: Wären die Arbeitnehmer in Deutschland oder Frankreich bereit, auf Lohnerhöhungen zu verzichten, um die Ostukraine ukrainisch zu halten? Würden sie höhere Gaspreise akzeptieren? Würden die Krisenländer im Süden, die gerade erst wieder langsam auf die Beine kommen, noch länger auf den Aufschwung warten, um ein völkerrechtliches Prinzip zu retten? Vielleicht wären die Polen oder die Esten sogar zu solchen wirtschaftlichen Opfern bereit. Sie wissen, was ihre Unabhängigkeit von Moskau wert ist. Nur: Die Frage wird sich so nicht stellen, weil Wirtschaftssanktionen einstimmig beschlossen werden müssten.

Bisher ist die EU tief gespalten. Sie muss sich entscheiden. Sie hat auf die russische Annexion der Krim mit einem Aufschrei reagiert, aber sie letztlich hingenommen. Wenn sie weiter halbherzig herumlaviert und auf Dialog setzt, signalisiert sie Putin, dass er freie Hand hat. Doch dann darf sich niemand wundern, wenn russische Truppen irgendwann in Moldau oder sogar in Lettland stehen.