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Die Kanzlerin bleibt ruhig

von der Mark Fabian Kommentarbild App
Fabian von der Mark
26. Juli 2016

Deutschland hat eine schlimme Woche hinter sich. Und die Kanzlerin erholt sich im Urlaub, empören sich viele. Doch diese Kritik zielt im Kern vor allem auf Angela Merkels Flüchtlingspolitik, meint Fabian von der Mark.

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Nach Schießerei in München Angela Merkel
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Der erste islamistische Selbstmordanschlag in Deutschland, das Axt-Attentat eines dschihadistischen Jugendlichen, ein muslimischer Mörder, der ein großes Döner-Messer schwingend durch eine Innenstadt rennt, dazu noch ein tödlicher Amoklauf. Und die Kanzlerin ist im Urlaub. So stellt sich für viele Deutsche die Lage in diesem Sommer 2016 dar. Tatsächlich hält sich Angela Merkel in der Uckermark auf und hat über ihre Sprecherin mitteilen lassen, dass sie in Gedanken bei den Opfern von Reutlingen und Ansbach sowie deren Angehörigen sei. Kein betroffener Blick in die Kameras. Auch schon nach dem Amoklauf in München kamen ihr Hollande und Obama zuvor. Merkt Merkel nicht, was im Land los ist?

Merkel springt über ihren analytischen Schatten

Natürlich merkt sie es. Die Bundeskanzlerin hat schon seit dem Wochenende zumindest versucht, die Stimmung aufzugreifen und ist über ihren analytischen Schatten gesprungen. Der faktenorientierten Naturwissenschaftlerin hat es garantiert widerstrebt, den Zusammenhang zwischen einem jahrelang vorbereiteten Amoklauf eines gebürtigen Münchners und IS-inspirierten Anschlägen von Flüchtlingen herzustellen. Aber sie hat es getan, ist auf das Unsicherheitsgefühl der Deutschen eingegangen, hat Beileid ausgedrückt und Aufklärung versprochen. Nun hat sie überraschend für den Donnerstag eine Pressekonferenz angesetzt.

Reutlingen war nach jetzigem Stand eine Beziehungstat - die Kondolenz durch die Kanzlerin in diesem Fall also höchst ungewöhnlich. Aber Merkel weiß, was viele umtreibt. Reutlingen, Ansbach und Würzburg waren Verbrechen von Flüchtlingen. Die Regierung betont zwar zu Recht, dass die jüngsten großen Terroranschläge in Europa ausnahmslos von Einheimischen und seit langem in Europa Lebenden begangen wurden; drei schockierende Gewalttaten in Deutschland aber von Menschen, die in den vergangenen zwei Jahren aus Afghanistan und Syrien gekommen sind und hier freundlich aufgenommen wurden. Das ist die politische Angriffsfläche - denn Merkel steht für diese "Willkommenskultur" wie keine andere.

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Fabian von der Mark, Korrespondent im Hauptstadtstudio

Merkel braucht eine Debatte über Flüchtlinge wie Bauchweh

Natürlich könnte die Bundeskanzlerin häufiger Trauer tragen, sie hätte vielleicht auch schon etwas früher - wie der Bundesinnenminister - demonstrativ ihren Urlaub unterbrechen können (den sie nach Brexit, Türkei-Krise etc. sicher mehr als nötig hat). An der Kanzlerinnen-Kritik in Deutschland würde das jedoch nichts ändern. Im Gegenteil: Merkel würde nur eine Debatte beleben, die sie gebrauchen kann wie Bauchweh - die Debatte über ihre Flüchtlingspolitik. Es sind drei Sätze, die Angela Merkels Kritiker jetzt hören wollen: "Meine Flüchtlingspolitik ist gescheitert. Die Aufnahme von einer Million Muslimen war ein unkalkulierbares Risiko. Die Ereignisse der vergangenen Woche belegen das auf furchtbare Weise."

Ruhe und Klarheit - nicht Hysterie und Chaos

Nur: Von Angela Merkel werden sie diese Sätze nicht hören - auch am Donnerstag nicht. Erstens weil sie weiß, dass weder der Amokläufer von München, noch die Täter von Würzburg, Ansbach und Reutlingen im so umstrittenen Herbst 2015 nach Deutschland gekommen sind. Zweitens weil es genau das wäre, was sich nicht nur ihre Gegner daheim, sondern vor allem die Fanatiker des Islamischen Staates wünschen. Und drittens weil Merkel weiß, dass jetzt genau das gefragt ist, was es in der Uckermark so reichlich gibt: Ruhe und Klarheit - nicht Hysterie und Chaos.

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