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Kommentar: Die Welt hat uns lieb

Volker Wagener / Felix Steiner13. November 2014

Erst Fußball-Weltmeister, jetzt auch noch Image-Weltmeister. Deutschland hat die beste Ausstrahlung, belegt eine Studie. Hieraus erwachsen jedoch auch neue Verpflichtungen, meinen Volker Wagener und Felix Steiner.

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Ein Anwohner hat in Essen sein Haus an der Autobahn A40 mit Deutschlandfahnen geschmückt (Foto: Federico Gambarini/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Sie schmeicheln uns. Wir, Deutschland und die Deutschen, sind die Beliebtesten, weltweit. So steht es im Nation Brands Index. Das Marktforschungsinstitut GfK hat mehr als 20.000 Menschen aus 20 Ländern - zumindest die, die online sind - befragt. Ihr Urteil ist eindeutig: Deutschland? - Find ich gut! Die Welt hat uns lieb.

Für die Generation der Babyboomer, der heute 50- bis 55-Jährigen, ist das immer noch ein gewöhnungsbedürftiger Befund. Wir, die heute mittlere Generation, ist mit einer gehörigen Portion Selbsthass groß geworden. Die Untaten unserer Großväter lasteten schwer auf uns, wir konnten uns selbst nicht leiden. Dafür schwärmten wir umso mehr von den patriotischen Franzosen, den etwas anderen Briten. Wir konnten es damals nicht erklären, aber beide erschienen uns als normale Staaten.

Wir waren nicht normal. Ein geteiltes Land mit einer fürchterlichen Vergangenheit und einer angeschlagenen Identität. Als deutsche Tugenden galten über Jahrzehnte Fleiß, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Ordnung. Dafür wird man bestenfalls geschätzt, aber nicht geliebt! Wir hatten schlicht einen Minderwertigkeitskomplex. Zu erleben, dass wir heute Sehnsuchtsland der anderen sind, zeigt, wie viel sich verändert hat.

Volker Wagener, DW-Redakteur (Foto: DW/Per Henriksen)
Volker Wagener, DW-RedakteurBild: DW

Wie wir wurden, was wir sind

Wie ist dieser Wandel zu erklären? Da kommen viele Facetten zusammen. Die banalste ist der Faktor Zeit: Die Generation der deutschen Täter aus der Zeit des Weltkriegs und des Nationalsozialismus ist inzwischen nahezu ausgestorben. Ebenso wie ihre Opfer, die unter Okkupation und Verfolgung gelitten haben. Niemand im Ausland stellt einem Deutschen heute noch die Frage: "Was hast Du damals gemacht?" Das macht Begegnung leichter, offener, unbefangener.

Hinzu kommt: Wir haben uns intensiv mit unserer Vergangenheit auseinandergesetzt. Der großen Gesten waren viele: Angefangen von Willy Brandts Kniefall in Warschau bis zu Helmut Kohls Händedruck mit Francois Mitterrand über den Gräbern von Verdun.

Felix Steiner, DW-Redakteur (Foto: DW/Per Henriksen)
Felix Steiner, DW-RedakteurBild: DW/M.Müller

Nicht gegen, mit den Nachbarn!

Vor allem aber: Deutschland ist seit 65 Jahren berechenbar. Was sich aus der Zweiteilung des Landes in zwei unterschiedlichen Machtblöcken über 40 Jahre zwangsläufig ergab, wurde auch nach Mauerfall und Deutscher Einheit systematisch fortgesetzt. Wir definieren unsere Interessen nicht in Gegnerschaft zu Anderen und unternehmen keine Alleingänge. Deutschland funktioniert nur mit Europa, nicht gegen Europa. Und weil uns dieser Kurs einen früher unvorstellbaren Wohlstand beschert hat, gibt es auch niemanden ernst zu nehmenden, der eine andere Politik will.

All das hat uns auch lockerer gemacht, unverkrampfter. Das wurde zum ersten Mal sichtbar bei der Fußball-WM 2006 im eigenen Land, und auch am vergangenen Wochenende wieder, beim 25. Jahrestag des Mauerfalls: Wir können uns unbeschwert selbst feiern, ohne dass irgendjemand sonst wegen sich abzeichnendem Größenwahn Angst bekommen müsste.

Es gibt Erwartungen an Deutschland

Nein, dass die Deutschen "abheben", weil sie nun auch die Beliebtesten sein sollen - diese Sorge muss niemand haben. Im Gegenteil: Wir tun uns immer noch schwer mit der Verantwortung, die uns aus unserer wirtschaftlichen und politischen Größe automatisch zuwächst. Die Furcht, bei klaren Entscheidungen sofort wieder als "hässliche Deutsche" zu gelten, ist in der Politik immer noch zu greifen. Karikaturen ausländischer Zeitungen, die deutsche Politiker in Nazi-Uniformen zeigen, tun immer noch weh und lösen sofort kritische Fragen aus: "Haben wir etwas falsch gemacht?" Dabei hat der frühere polnische Außenminister Radoslaw Sikorski uns schon vor drei Jahren indirekt ein ganz wunderbares Kompliment gemacht: "Deutsche Macht fürchte ich heute weniger, als deutsche Untätigkeit." Sagt ausgerechnet ein Pole! Darauf dürfen wir sogar ein wenig stolz sein. Mehr noch, als auf das Ergebnis der neuen Umfrage.