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Kommentar: Ein Lehrstück

Peter Philipp4. Mai 2006

Im dem einzigen Terrorprozess um die Anschläge des 11. September ist der Franzose Zacarias Moussaoui zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Peter Philipp kommentiert.

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Bei dem Prozess um den Franzosen Zacarias Moussaoui waren keine Kameras zugelassenBild: AP

Amerika habe verloren, entfuhr es dem gebürtigen Marokkaner Zacarias Moussaoui, als das Schwurgericht in Virginia das Urteil verkündete: Lebenslänglich - ohne vorzeitige Freilassung. Demgegenüber bezeichnete Rudolph Giuliani, der am 11. September 2001 Bürgermeister von New York war, das Urteil als "Sieg Amerikas", der sein Vertrauen in das Rechtssystem des Landes gestärkt habe.

Peter Philipp

Man kann es sich also aussuchen: Hat sich der verhinderte Attentäter vom 11. September durchgesetzt oder ein Rechtssystem, das auch einem solchen Angeklagten eine Chance einräumt? Die Antwort ist nicht einfach und keineswegs zwingend.

Kompromisslose Bekämpfung des Westens

Auf der einen Seite ein Terrorist, der mit dem klaren Auftrag in die USA gekommen war, an dem größten Terroranschlag aller Zeiten teilzunehmen, der aber rechtzeitig festgenommen - und damit an der Durchführung seines Auftrages gehindert - wurde. Ein offenbar geistig verwirrter Mann dazu, dem seine Schwestern bescheinigen, von einem gewalttätigen Vater missbraucht worden zu sein. Verwirrt aber auch, weil er gefangen ist in dem Dickicht der mörderischen Ideologie eines Osama Bin Laden, in der es aus seiner Sicht nur den "Kampf der Kulturen" gibt: die kompromisslose Bekämpfung des Westens durch muslimische "Gotteskrieger".

Und auf der anderen Seite der amerikanische Staat, der sich im selbst erklärten "Krieg gegen den Terrorismus" befindet. Ein Krieg, der bewusst mit äußerster Härte und Unnachgiebigkeit geführt wird. Auch mit juristisch zweifelhaften Methoden. Das zeigt die Inhaftierung von Verdächtigen in Guantánamo ohne Chance auf einen Prozess oder die Entführung und "Verschiebung" anderer Verdächtiger im Ausland - wie im Fall des deutschen Bürgers Khaled el-Masri und der Affäre um die CIA-Flüge belegt.

Untergang als Märtyrer

Moussaoui wusste, dass er das Gericht nie wieder als freier Mann würde verlassen können. Und so entschloss er sich anscheinend schon früh, dann wenigstens als Märtyrer unterzugehen. Er schien zunächst ja auch Recht zu bekommen: Als das Gericht entschied, dass er durchaus auch zum Tode verurteilt werden könne.

Wenn das Urteil nun aber doch nicht so hart ausfiel, dann hat Moussaoui dies dem Umstand zu verdanken, dass er im Jahre 2001 unerkannt in die USA hatte einreisen können und dass er dort festgenommen wurde - und nicht irgendwo in Pakistan, Afghanistan, Mazedonien oder Italien. Bei einer Festnahme im Ausland wäre es ihm wohl kaum anders ergangen als all den anderen, die inzwischen im US-Lager auf Kuba gelandet oder die spurlos verschwunden sind. Seine Verhaftung in den Vereinigten Staaten machte Moussaoui zum "Fall" der US-Justiz und das schützte ihn vor größerer Unbill. Unter anderem, weil man ernsthafte Zweifel an seinem Geisteszustand haben musste.

Verständlich, dass Überlebende und Angehörige von Opfern des 11. September solche Rücksichtnahme nicht verstehen. Hatten die Täter des 11. September denn irgendjemanden verschont?

Der Fall Moussaoui ist aber zum Lehrstück geworden, dass die Justiz auch in den USA nicht auf Rache und Vergeltung aus ist, sondern dass sie den klaren Vorgaben des Gesetzes unterliegt. Es wäre wünschenswert, wenn dieser Grundsatz auch für die Häftlinge von Guantànamo gälte.