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Schlecht für Majestäten? Gut für uns alle!

Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno
1. Januar 2018

Mit Beginn des neuen Jahres wird der §103, der "Majestätsbeleidigungs-Paragraf" abgeschafft. Auch wenn das viel zu spät geschieht, ist das eine gute Nachricht, meint Martin Muno.

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Bild: pbilder - Fotolia.com

Normalerweise ist in einer Demokratie jeder vor dem Gesetz gleich. In Deutschland wird das im Artikel 3, Absatz 1 des Grundgesetzes geregelt. Aber im Gesetzes-Dschungel sind immer noch einige gleicher als andere - etwa im Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs "Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten", einem Gesetz, das auf dem alten Majestätsbeleidigungs-Paragrafen von 1871 basiert. Wer aufgrund dieses Paragrafen verurteilt wird, erhält bis zu fünf Jahre Haft, wer hingegen seinen Nachbarn beleidigt, kommt mit einer Geldstrafe oder - in absoluten Ausnahmefällen - höchstens einem Jahr Gefängnis davon. Warum aber sollte die Beleidigung eines Staatschefs anders geahndet werden als die eines einfachen Bürgers?

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DW-Redakteur Martin Muno

Erst mit dem heutigen Neujahrstag ist dieses Gesetz abgeschafft - endlich! Anlass war die Affäre um das "Schmähgedicht" des Satirikers Jan Böhmermann. Weil der türkische Präsident  Recep Tayyip Erdogan sich persönlich beleidigt fühlte, verlangte er, dass gegen Böhmermann auf Grundlage des §103 ein Prozess eröffnet werden sollte. Dass ein ausländischer Machthaber, der wegen seines rigiden Vorgehens gegen Medien, Justiz und Oppositionelle im eigenen Land in der Kritik steht, mit diesem Paragrafen ein so starkes juristisches Mittel erhält, stieß bei Politikern aller deutschen Parteien auf Ablehnung. Deswegen war es nur konsequent, dass der Bundestag Anfang Juni 2017 einstimmig beschloss, ihn zu streichen.

Schutz für blutige Diktatoren

Das hätte allerdings schon viel früher geschehen müssen. Denn in der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte spielte der §103 mehrfach eine unrühmliche Rolle, etwa bei der Kritik am Schah von Persien oder des chilenischen Diktators Augusto Pinochets. Dass die deutsche Justiz zwei Machthaber von blutigen Diktaturen schützte und Demonstranten und Journalisten für ihre Meinungsäußerungen bestrafte, war ein Skandal, der die Rolle von Tätern und Opfern pervertierte.

Auf Grundlage des Gesetzes ermittelten die Staatsanwälte in mehreren weiteren Fällen aus reiner Vorsorge: Bei der Eröffnung der Hannover-Messe 2013 zum Beispiel, als eine Femen-Aktivistin, die sich "Fuck Dictator" auf die nackte Brust geschrieben hatte, auf den russischen Präsidenten Putin zulief. Oder als ein Marburger Metzger zehn Jahre zuvor den damaligen US-Präsidenten George W. Bush wegen des Irakkriegs "offensichtlich durchgeknallt" und "blutgierig" nannte. In beiden - wie auch in vielen anderen - Fällen, legten die betroffenen Politiker keinen Wert auf eine juristische Aufarbeitung.

Der §103 entsprang einer obrigkeitsstaatlichen Tradition, machte die deutsche Justiz mehrfach zu Handlangern für Diktatoren und machte auch die Bundesregierung anfällig. Es ist gut für uns alle, dass er weg ist!

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Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus