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Bundesverfassungsgericht urteilt über EFSF-Sondergremium

28. Februar 2012

Auch dringende Entscheidungen über Euro-Hilfsmaßnahmen dürfen nicht von einem Sondergremium getroffen werden. So urteilte jetzt das Bundesverfassungsgericht. Ein europafreundliches Urteil, findet Daphne Grathwohl.

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Ist die Entscheidung aus Karlsruhe nun antieuropäisch? Wird die deutsche Verfassung über zwingende Notwendigkeiten zur Euro-Rettung gestellt? Werden einer effizienten Bekämpfung der Schuldenkrise so Steine in den Weg gelegt? Es steht zu vermuten, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts solche Reaktionen hervorrufen wird.

Doch dem ist nicht so: Die Verfassungsrichter haben die Rechte des deutschen Parlaments gestärkt, so wie sie das Grundgesetz, das Demokratieprinzip und die Grundsätze des Parlamentarismus vorsehen. Der Bundestag, respektive sein Haushaltsausschuss, hat ein wichtiges Recht: Das ist die Verantwortung über den Bundeshaushalt, also die Finanzen. Diese Verantwortung darf der Bundestag nicht an ein winziges Gremium von neun Personen abgeben, zumal dann nicht, wenn es um große Summen und umstrittene Maßnahmen geht. Vielmehr muss der Bundestag auch in Zukunft sein Haushaltsrecht wahrnehmen.

Daphne Grathwohl, Deutsche Welle, Redaktion Hintergrund Deutschland / Europa (Foto DW)
DW-Redakteurin Daphne GrathwohlBild: DW

Sondergremium nur in Ausnahmefällen

Das Sondergremium soll nur in absoluten Ausnahmefällen handeln dürfen, und zwar dann, wenn Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt aufgekauft werden sollen. Hier hat das Gericht den Notwendigkeiten des Finanzmarktes entsprochen, wo es auch um Insidergeschäfte, Finanzwetten auf Staatspleiten und ähnliches geht. Solches Gebaren hat unter anderem die aktuelle Euro-Krise weiter verschärft. Daher ist es sicher sinnvoll, den Akteuren solcher Geschäfte kein Informationsfutter zu geben, indem man hier tatsächlich ein kleines, auch geheim tagendes Sondergremium entscheiden lässt. So kann man ausschließen, dass das Informationsleck im deutschen Parlament zu suchen ist. Alle Lecks schließen kann man nicht, dazu gibt es europa- und weltweit zu viele Beteiligte.

Doch solche Entscheidungen müssen die Ausnahme sein. Das ist nicht anti-europäisch, sondern demokratisch. Schließlich geht es um Maßnahmen, die nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch unter den Volksvertretern selbst umstritten sind. Also sollten sie über diese Maßnahmen umfassend informiert werden und mitentscheiden dürfen. Nur dann, wenn man bei so weitreichenden Entscheidungen die demokratisch legitimierten Vertreter einbezieht, kann man auch die Bevölkerung überzeugen. Ob das tatsächlich gelingt, steht auf einem anderen Blatt. Aber die Mühe muss man sich zumindest machen.

Gegen ein Demokratie-Defizit

Eine Gruppe aus neun Personen, die in einem Kämmerlein unter Geheimhaltungsbedingungen tagt und dann über Auszahlungen aus Rettungsfonds entscheidet oder andere - völkerrechtlich bindende - Verpflichtungen eingeht, handelt intransparent und völlig losgelöst von den Volksvertretern und damit von der Bevölkerung. Das ist ein Defizit an Demokratie, das sich rächen kann. Denn die Lösung der Euro-Krise ist ein Ziel, von dem alle Europäer profitieren und an dem alle Europäer arbeiten müssen: Die Menschen in den Schuldenländern, indem sie Reformen umsetzen und sparen, aber auch die Menschen in den - noch - wohlhabenden EU-Staaten, indem sie sich solidarisch zeigen, weil auch sie große Vorteile von der europäischen Gemeinschaftswährung haben. Das gilt insbesondere für Deutschland.

Proteste in Schuldenstaaten wie Griechenland, aber auch Querdenker in Parlamenten wie in Deutschland, die Lösungsbestrebungen im Rahmen der Schuldenkrise zumindest erschweren, zeigen, dass Europa nicht an einem Strang zieht. Im Gegenteil: Längst sind heftige Ressentiments entstanden, längst pflegt man seine gegenseitigen Vorurteile, längst fühlt man sich gegenseitig übervorteilt.

Notwendiger Rückhalt in der Bevölkerung

Dabei sind Proteste, Kritik und abweichende Meinungen verständlich, zumal dann, wenn niemand - auch nicht Staats- und Regierungschefs oder Wirtschaftsexperten - ein Patentrezept gegen die Krise hat. Doch gerade dann müssen die Menschen informiert und beteiligt werden an diesem derzeit größten Problem, das Europa beschäftigt. Entscheidungen aus dem einsamen Kämmerlein werden dann erst recht nicht von der großen Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert - ganz gleich in welchem EU-Land.

Die Entscheidung des Bundestags mag schwerfälliger zustande kommen als die des Sondergremiums. Doch die Entscheidung wird nicht in geheimen Sphären des Expertentums und der vermeintlichen Insider gefällt, sondern durch die gewählten Volksvertreter. Mehr demokratische Legitimität geht nicht. Das ist mehr, als so manche Entscheidung der EU an Legitimierung aufweisen könnte, die selbst an einem deutlichen Demokratie-Defizit leidet.

Die Chance, dass Volksvertreter und Bevölkerung auch schwierige Entscheidungen zur Euro-Rettung gutheißen und mittragen, ist durchaus höher, wenn sie informiert und beteiligt werden. Damit kann man die Entscheidung aus Karlsruhe getrost als europafreundlich bezeichnen.

Autorin: Daphne Grathwohl
Redaktion: Dеnnis Stutе