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Kommentar: Eine Inszenierung des Kremls

Andrey Gurkov30. Dezember 2014

Der zu einer dreieinhalb-jährigen Bewährungsstrafe verurteilte russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny macht Wladimir Putin eindeutig nervös, meint Andrey Gurkov.

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Kremlkritiker Alexej Nawalny vor Gericht (Foto: EPA/VALENTINA SVISTUNOVA)
Bild: picture-alliance/dpa/Svistunova

Es war wieder einmal eine tolle Regieleistung, die der Kreml bei der Inszenierung namens "Gerichtsprozess gegen Alexej Nawalny und seinen Bruder Oleg" hingelegt hat! Die Anklage, das Verfahren, das Urteil, das Timing seiner Verkündung - alles gut durchdacht und kalkuliert. Wenn es um den bekanntesten und wohl gefährlichsten in Russland lebenden politischen Gegner von Wladimir Putin geht, wird nichts dem Zufall (sprich: der unabhängigen Gerichtsbarkeit) überlassen.

Immer neue Gerichtsprozesse

Seit mehr als zwei Jahren wird der oppositionelle Politiker Alexej Nawalny, der als Blogger zahlreiche Korruptionsaffären aufdeckte, eine maßgebliche Rolle bei den Massenprotesten gegen Wahlbetrug im Winter 2011-2012 spielte und 2013 bei den Moskauer Bürgermeisterwahlen mit 27 Prozent der Stimmen Zweitplatzierter wurde, mit immer neuen Gerichtsprozessen konfrontiert. Dabei geht es nicht um seine politische Tätigkeit, sondern um Wirtschaftsdelikte, die er als Geschäftsmann angeblich begangen haben soll. Die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen werden von unabhängigen russischen Experten und ausländischen Beobachtern stets als konstruiert oder zumindest als sehr umstritten eingeschätzt. Auch der Ausdruck "fehlender Tatbestand" macht immer wieder die Runde.

Andrey Gurkov, Redakteur bei DW-Russisch (Foto: DW)
Andrey Gurkov, Redakteur bei DW-RussischBild: DW/A. Galkina

Dass der Kreml hinter dieser hartnäckigen Verfolgung mit juristischen Mitteln steht, ist für Kenner der heutigen Moskauer Sitten offensichtlich. Dessen Taktik zielt darauf ab, Nawalny von oppositionellen Aktivitäten und dem Aufbau einer eigenen Partei abzulenken, seinen Ruf als Kämpfer gegen die Korruption zu beflecken, ihm durch Vorstrafen eine politische Karriere zu verbauen und ihn gleichzeitig auch nicht zu einem Märtyrer und zum populärsten russischen Häftling zu machen. Daher die Bewährungsstrafen sowohl im vorangegangenen großen Prozess als auch im jetzigen Fall, wo es um mutmaßliche Unterschlagungen während der Zusammenarbeit mit der französischen Kosmetikfirma Yves Rocher ging. Alexej Nawalny wurde zu dreieinhalb Jahren auf Bewährung, sein Bruder Oleg dagegen zur selben Frist im Straflager verurteilt.

Plötzliche Vorverlegung der Urteilsverkündung

Das Urteil sollte eigentlich erst am 15. Januar 2015 verkündet werden. Die Opposition hatte schon damit begonnen, für diesen Tag eine große Protestkundgebung in Moskau vorzubereiten. Da im Januar der jüngste Rubel-Verfall wohl voll auf die Verbraucherpreise durchschlagen wird und man zudem mit einer ersten rezessionsbedingten Entlassungswelle rechnet, dürfte die Zahl der Unzufriedenen und Protestbereiten zu diesem Zeitpunkt wohl beachtlich zunehmen.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass das Gericht (wer den sonst?) die Urteilsverkündung plötzlich auf den 30. Dezember vorverlegte. Ein ideales Datum für unpopuläre Gerichtsbeschlüsse! Ganz Moskau bereitet sich auf Sylvester vor, das größte Fest des Jahres. Viele aktive Menschen sind bereits verreist, und auch der Westen ist in den Ferien. Und denen, die dageblieben sind, begannen in zahlreichen russischen Internetforen wohlmeinende Mitbürger wie auf Kommando mitzuteilen, man könne doch nicht so blöd sein, sich am Vorabend eines so schönen Festes wegen Teilnahme an einer unerlaubten Kundgebung verhaften zu lassen.

Der Kreml laviert

Aber all diese Regieleistungen, inklusive des faktischen Verschweigens des Urteils den ganzen Tag über im staatlichen Fernsehen, zeugen nur von Einem: Der Kreml ist nervös - wegen der beginnenden schweren Wirtschaftskrise, wegen des möglicherweise ansteckenden Beispiels des Kiewer Maidans, wegen der wohl doch beachtlichen Popularität Nawalnys. Deswegen laviert der Kreml: Den Bruder des Oppositionellen nimmt er sich als Häftling und somit als Geisel, den ehemaligen Kandidaten für das Moskauer Bürgermeisteramt belässt er jedoch vorerst "nur" unter Hausarrest, obwohl der Staatsanwalt zehn Jahre Haft gefordert hatte.

So liefert uns der 30.Dezember 2014 einen völlig unerwarteten Schlusspunkt eines Jahres, in dem Wladimir Putin dank Olympia, Krim und antiwestlicher Rhetorik in Russland ungeahnte Beliebtheitswerte erreichte: Es gibt sie doch, die russische Opposition, und der mächtige Mann im Kreml hat eindeutig Angst vor ihr.